Der antisemitische Quds-Marsch in Frankfurt

Ein jährlicher Aufmarsch für das iranische Regime

Bereits seit der Gründung der Islamischen Republik Iran 1979 wird von AnhängerInnen des iranischen Regimes am sogenannten Quds-Tag für die Vernichtung des jüdischen Staates und die Staatsideologie der Islamischen Republik demonstriert. Hinter dem Marsch in Frankfurt steht ein europaweites Netzwerk.

Das iranische Regime hat noch im Gründungsjahr der Islamischen Republik den sogenannten Quds-Tag zur „Befreiung“ Jerusalems (al Quds bedeutet übersetzt „die Heilige“ und ist der arabische Name der Stadt) und zur Vernichtung Israels ausgerufen. Seit 1979 wird dieser jährlich zum letzten Freitag des Fastenmonats Ramadan öffentlich zelebriert, nicht nur im Iran und dessen Satrapien im Nahen Osten, sondern weltweit und ab 2015 auch in Frankfurt am Main.

Am 6. April 2024 zogen zu diesem Anlass etwa 700 Personen vom Frankfurter Hauptbahnhof über den Willy-Brandt-Platz zum Roßmarkt, wo die Abschlusskundgebung durchgeführt wurde. Angemeldet wurde der Aufmarsch wie in den vergangenen Jahren vom Islamischen Zentrum Ehlibeyt e. V. aus Offenbach.

Zum politischen Hintergrund des Quds-Tages

Der iranische Revolutionsführer und Ayatollah Ruhollah Khomenei resümierte die ersten anti-israelischen Massendemonstrationen im Iran mit den Worten: „Der Al-Quds-Tag ist ein islamischer Tag und ein Tag der Mobilisierung der Muslime. Ich hoffe, dass dieser Tag die Basis zur Gründung einer Partei alle Unterdrückten der Welt sein wird. […] Sie können dann alle Probleme, die ihnen im Wege stehen, beseitigen und gegen die Arroganz aufstehen. Sie werden die Fahne des Islams hochhalten und die Herrschaft der Armen in der Welt errichten. […] Die Partei der Armen heißt Hezbollah [Partei Gottes]. Diese Partei befürwortet die Herrschaft Gottes. […] Imam Ali ist unser Vorbild. Er zog sein Schwert gegen die Verschwörer. Es ist überliefert, dass er siebenhundert Juden an einem Tag tötete. […] Auch der Imam der Muslime war rachsüchtig. Wenn es Zeit fürs Erbarmen ist, gibt es Erbarmen. Wenn es aber die Zeit der Rache ist, dann gibt es Rache.“

An diesem Zitat werden bereits verschiedene Motive der islamistischen Ideologie des Mullah-Regimes deutlich. Nicht nur wird ein antisemitisches Heilsversprechen beschworen, das JüdinnenJuden mit allem Übel in der Welt assoziiert und wonach mit der von den JüdinnenJuden gesäuberten Welt jegliche Unterdrückung verschwinden würde. Ein Heilsdenken, welches zu den heutigen ideologischen Grundpfeilern der Islamischen Republik gehört. Es wird gleichzeitig zur Vereinigung der islamischen Glaubensgemeinschaft und zur Überwindung konfessioneller Spaltungen in Form einer pan-islamistischen Weltbewegung aufgerufen, die jedoch letztlich als iranisches Exportprodukt unter dem Banner von Khomeinis Ideologie stehen soll. Zu diesem Zweck fördert die Islamische Republik regimetreue Netzwerke weltweit, die wiederum die antisemitische Propaganda des Regimes verbreiten.

Der Quds-Marsch in Rhein-Main

Eines dieser Netzwerke organisiert seit 2015 die jährlich stattfindenden „Quds-Tag“-Aufmärsche in der Main-Metropole, die sich nach den Absagen in Berlin mittlerweile zur zentralen Demonstration des iranischen Regimes in der Bundesrepublik entwickelt haben. Unter den wehenden Fahnen Palästinas und der Islamischen Republik wird sich jedes Jahr gegen den jüdischen Staat in Stellung gebracht. Die Konterfeis des iranischen Revolutionsführers Khomeini, dessen Nachfolgers Ali Khamenei, sowie dem iranischen Regime gegenüber loyal eingestellter schiitische Geistlicher wie Isa Qassim aus Bahrain, Ibrahim Zakzaky aus Nigeria oder auch Abdul-Malik al-Huthi aus dem Jemen werden zur Schau gestellt. Bis zum kompletten Betätigungsverbot der libanesischen Hisbollah waren auch deren Fahnen und Bilder von dessen Führer Hassan Nasrallah auf den Demonstrationen zu sehen. Im Jahr 2016 wurde gar das Porträt des Hamas-Geistlichen Ahmad Yassin offen zur Schau gestellt.

Anders als in Berlin, wo antizionistische Linke und Neonazis schon länger mitmarschieren, war der Frankfurter Ableger bis zu diesem Jahr geprägt von einem beinahe ausschließlich religiösen Milieu, das mitsamt Kindern in geschlechtergetrennten Blöcken demonstrierte. Jährlich treten dieselben Akteur­Innen als RednerInnen, Koran-Rezitatoren und OrganisatorInnen in Erscheinung. Das hier zu Tage tretende Netzwerk ist mehrheitlich türkischsprachig, in Teilen kurdischer Herkunft und bezieht sich positiv auf den schiitischen Islamismus des iranischen Regimes.

Der Offenbacher Verein

Um das Netzwerk hinter dem Frankfurter Quds-Tag verstehen zu können, muss sich mit der Lebensgeschichte des Gründers und Imams der Offenbacher Gemeinde auseinandergesetzt werden, die jedes Jahr als anmeldende Organisation in Erscheinung tritt.

Der mittlerweile verstorbene Imam des Islamischen Zentrum Ehlibeyt aus Offenbach, Muhammed Avci, ist Mitte des 20. Jahrhunderts nahe der türkischen Stadt Elazığ im mehrheitlich kurdischen Teil der Türkei geboren. Als kurdischer Sunnit besuchte er die örtliche Koranschule, ließ sich zum Imam ausbilden und übernahm mit ungefähr zwanzig Jahren die Rolle des Vorbeters in der Moschee von Elazığ. Im Jahr 1980 putschte das kemalistische Militär unter General Kenan Evren, der sich zum türkischen Staatspräsidenten ernannte. Muhammed Avci begehrte auf gegen die laizistischen Forderungen des Militärführers und musste kurz darauf das Land verlassen. Mitsamt seiner Familie floh er ins niederländische Exil und suchte den Anschluss an pro-iranische religiöse Zirkel. Die Wirkmacht der erfolgreichen Islamischen Revolution im Iran bei gleichzeitiger Niederlage der islamischen Bewegung in der Türkei führten Avci dazu, sich mit dem schiitischen Islam und Khomeinis Lehren zu beschäftigen und letztlich zum Schiitentum zu konvertieren.

Über Deutschland flog Avci um 1990 in den Iran und ließ sich dort in einem geistlichen Zentrum des Landes in Ghom religiös weiterbilden. Spätestens hier in Ghom bekannte sich Avci mutmaßlich zum sogenannten Prinzip des „Statthalter des Rechtsgelehrten“ (Velayat-e Faqih), einem politischen Herrschaftsbegriff Khomeinis, und erarbeitete sich vermutlich auch den schiitisch-geistlichen Rang des „Hodschatoleslam“ (türkisch: Hüccetülislam), der unter dem eines Ayatollahs angesiedelt ist. Mit dem Auftrag, die politische Überzeugung in die Praxis zu übersetzen, kehrte Avci in die Niederlande zurück und gründete dort die erste regimetreue Moscheegemeinde des Netzwerks, das Ehlibeyt Zentrum Sakaleyn in Den Haag. Ziel war es, die schiitische Community vor Ort politisch zu mobilisieren und organisatorisch einzubinden, in Europa geborene Kinder schiitischer MigrantInnen der Islamischen Revolution gemäß auszubilden und sunnitische Muslime von den Ansichten Khomeinis und des Schiitentums zu überzeugen. Angeblich hat Avci es geschafft, mehr als 2.000 Muslime zur innerislamischen Konversion zu bewegen. Ausgehend vom Zentrum in den Niederlanden bauten Avci und seine AnhängerInnen ein europaweites Netzwerk auf und gründeten weitere Ehlibeyt-Gemeinden in Deutschland.

Das deutsch-niederländische Viereck

Dass in der niederländischen Ehlibeyt-Gemeinde das Zentrum des Netzwerks zu verorten ist und Muhammed Avci dort selbst lange Zeit tätig war, erklärt die besondere Verbindung des Frankfurter Quds-Tags in das Nachbarland. Regelmäßig treten Gemeindemitglieder aus Den Haag als Redner auf den Demonstrationen auf, ein Geistlicher der Moschee, Seyyid Musevi, war mehrere Jahre in Frankfurt vor Ort und vereinzelt sieht man gar niederländische Flaggen auf den Aufmärschen. Als 2021 ein Autokorso veranstaltet wurde, waren mehrere niederländische Kennzeichen erkennbar. Muhammed Avcis Sohn, İsmail Avci, hält regelmäßig Predigten, die in den Medienplattformen des Netzwerks aufbereitet werden, spricht auf dem Frankfurter Quds-Tag und scheint zudem nach wie vor ein Geistlicher des Ehlibeyt Zentrums in Den Haag zu sein, obwohl sein Vater bereits Anfang der 2000er Jahre in die Rhein-Main-Region übergesiedelt ist.

Zwei weitere Moscheegemeinden in Deutschland tragen den inoffiziellen Titel „Kuran ve Ehlibeyt“, führen dasselbe Logo und werden auf den Plattformen des Netzwerks hervorgehoben: das Islamische Zentrum Osterholz e. V. in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen sowie der Augsburger Moscheeverein Ehl ul-beyt Kultur e. V. Die zentralen Akteure beider Gemeinden sind seit vielen Jahren im Netzwerk aktiv und dementsprechend langjährige Weggefährten Muhammed Avcis. Als dieser 2019 ein Staatsbegräbnis in seiner Ausbildungsstadt Ghom erhielt, waren die zentralen Figuren der vier Gemeinden aus Den Haag, Offenbach, Osterholz und Augsburg vor Ort.

Der geistliche Vorsitz des Islamischen Zentrums Osterholz-Scharmbeck, Ibrahim Çakar, war bis 2016 in Offenbach aktiv, betreibt mit weiteren Familienmitgliedern, die auch in der Moschee aktiv sind, einen kurdischen Fußballverein und engagiert sich in der regionalen Arbeit mit Geflüchteten. Gleichzeitig sind die Räumlichkeiten aller Gemeinden des Netzwerks mit Flaggen der Islamischen Republik und Bildern der iranischen Revolutionsführer sowie Muhammed Avcis geschmückt. Die Doppelstrategie nach innen und außen geht so lange auf, wie die Ideologie nicht demaskiert wird.

Ein autarkes Subnetzwerk innerhalb der IGS

Das beschriebene Netzwerk im deutsch-niederländischen Viereck organisiert jährlich den antisemitischen Quds-Tag in Frankfurt am Main. Es funktioniert als türkischsprachiges, schiitisches Netzwerk mit eigenem Personenkult, Nachrichtenportalen, Predigten und knapp zwei Dutzend Versammlungen pro Jahr als eigener Kosmos. Gleichzeitig ist mindestens die Offenbacher Moschee im schiitischen Dachverband Islamische Gemeinschaft der Schiiten in Deutschland (IGS) organisiert, der von vielen Beo­bach­ter*innen als verlängerter Arm des iranischen Regimes in Deutschland eingeschätzt wird.

Immer wieder gab es im Rhein-Main-Gebiet Querverbindungen zu anderen in der IGS organisierten Gemeinden, wie dem Zentrum der Islamischen Kultur in Frankfurt-Rödelheim oder der Frankfurter Hazrat Fatima Moschee. Gleichzeitig traten zentrale AkteurInnen des Netzwerks in der Vergangenheit als Redner-Innen in den Räumlichkeiten der Botschaft der Islamischen Republik in Den Haag auf. Hinter dem Quds-Tag in Frankfurt steht also ein türkischsprachiges und in Teilen kurdisches Netzwerk mit Bezug zum schiitischen Islamismus nach Vorbild des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini. Der Quds-Tag in Frankfurt und die religiösen Feierlichkeiten des Netzwerks zeigen deutlich, dass die zentralen AkteurInnen der Ehlibeyt-Gemeinden nicht auf das Organisationstalent Avcis angewiesen sind, sondern das pro-iranische Netzwerk in den vergangenen Jahren auch über dessen Tod hinaus arbeitsfähig geblieben ist. Weiterhin können mehrere hundert Menschen für Veranstaltungen wie den jährlichen antisemitischen Aufmarsch mobilisiert werden.

Mehr Infos unter: www.mideastfreedomforum.org/veroeffentlichungen/broschueren/quds-tag-in-frankfurt

Weiterlesen