
„Die Kriminalisierung antifaschistischer Arbeit nimmt immer weiter zu“
Interview mit der URA Dresden
Welche Bedeutung haben die Landtagswahlen im September für die politische Situation bei euch vor Ort?
Die Wahlen manifestieren die gesellschaftliche Stimmung der letzten Jahre hier in Sachsen und in Ostdeutschland. Mit den Kommunal- und Europawahlen konnten wir bereits einen Einblick bekommen, wohin die Reise nach den Landtagswahlen geht. Zwar gab es aus der bürgerlichen Zivilgesellschaft immer wieder Versuche, etwas gegen den aktuellen Trend zu unternehmen, allerdings waren die Antworten darauf oft nur „geht wählen“ oder „lasst uns gemeinsam diese Demokratie stärken“. Jetzt haben die Menschen in Sachsen gewählt und wir sehen, wohin sie wollen. Oft versucht man, sich die Ergebnisse immer noch mit „Protestwahl“ zu erklären, aber das müssen wir negieren. Die AfD wird in großen Teilen deshalb gewählt, weil sie offen extrem rechts auftritt.
Da die AfD die CDU braucht, um regieren zu können, ist die CDU auch dieses Jahr wieder von großer Bedeutung. Bereits 2019 waren sich viele unschlüssig, wie sie sich verhalten wird. Seit den letzten Landtagswahlen ist die eh schon rechte CDU in Sachsen jedoch noch weiter nach rechts gerückt und versucht, die AfD rechts zu überholen. Hinzu kommt, dass es innerhalb der sächsischen CDU ein großes Bestreben gibt, den seit 1991 bestehenden Regierungsanspruch fortzusetzen.
Welche Auswirkungen haben die Wahlerfolge der AfD auf kommunaler Ebene?
Die Wahlergebnisse institutionalisieren die bestehende rechte Hegemonie und normalisieren rechtes Gedankengut weiter. In diesem Rahmen kann sich eine extreme Rechte immer geschützter äußern und wird handlungsfähiger, sowohl im institutionellen Rahmen, als auch auf der Straße.
Zugleich nimmt die Kriminalisierung antifaschistischer Arbeit immer weiter zu. Am direktesten werden wir die Auswirkungen in den linken Projekten und soziokulturellen Zentren spüren. Argumente wie „unzureichender Brandschutz“ oder „Bildungsorte für Linksextremisten“ sind mittlerweile in vielen Stadt- und Kreistagen mehrheitsfähig. Gleichzeitig werden sowohl auf kommunaler, wie auch Landesebene Gelder für diese Projekte wegfallen. Die zu befürchtenden Schließungen von Projekten stellen vor allem auf lange Sicht ein riesiges Problem dar.
Was bedeutet es, in einer Gesellschaft, in der über zwei Drittel der Wähler*innen rechte Parteien wählen, antifaschistische und radikal linke Politik zu machen?
Anders als (in Städten) im Westen ist es hier der Großteil der Menschen, die rechts wählen und es auch sind. Hier gibt es so gut wie keine kritische Zivilgesellschaft und damit auch keine Anschlüsse der radikalen Linken an diese. Das heißt, wir sind ziemlich isoliert in dem, was wir machen (können). Gerade jetzt nach den Wahlen, haben wir gemerkt, dass viele eine Art Ohnmachtsgefühl verspüren und gerade nicht mehr richtig wissen, wohin und was tun. Dieses Gefühl verspüren wir natürlich schon länger und damit sind wir sicherlich nicht alleine, trotzdem verstärkt es sich gerade nochmal, vor allem mit der Aussicht auf die Landtagswahlen.
Mit der immer weiter voranschreitenden Normalisierung rechter Ideen und Strukturen geht auch ein Wiedererstarken rechter Positionen innerhalb jüngerer *Wähler**innengruppen einher und diese Entwicklungen haben sich auch in Dresden bemerkbar gemacht. Zum Beispiel durch das Auftreten neuer, meist sehr junger, faschistischer Gruppen wie der Elblandrevolte, die gemeinsam mit der NPD/Heimat gegen den CSD mobilisiert haben und versucht haben, diesen anzugreifen.
Haben die Wahlerfolge der AfD Einfluss auf eure antifaschistische Arbeit?
Dies werden wir vor allem in den nächsten Monaten merken. Der Rechtsruck hat jedoch jetzt schon spürbare Folgen für emanzipatorische Ideen und Orte, welche sich zunehmend mit wegfallenden Förderungen, Schikanen durch nach rechts gekippte kommunale Institutionen oder der wieder steigenden Bedrohungslage durch rechte und faschistische Umtriebe auf der Straße konfrontiert sehen. Rechte fühlen sich durch die Wahlerfolge sicherer und bestärkt, das führt ganz konkret dazu, dass Faschos vermehrt in Vierteln auftauchen, in den sie länger nicht mehr präsent waren, es auch in Dresden wieder zu mehr Angriffen auf (linke) Jugendliche kommt und die Mobilisierungskraft rechter Kundgebungen/Demos stetig zunimmt. Außerdem werden wir uns sicherlich verstärkt mit den Folgen einer stärkeren Kriminalisierung von Antifaschist*innen auseinandersetzen müssen. Was uns auch immer wieder auffällt, ist, dass wir uns viel mit Feuerwehrpolitik beschäftigen müssen und dadurch wenig Kapazitäten für andere Arten der Politik haben.
Was ist eure Perspektive auf die Massenproteste gegen die AfD?
Es ist eine zivilgesellschaftliche Selbstvergewisserung, dass „rechts“ ja immer nur die anderen sind, man wähnt sich „auf der guten Seite“; daraus erwachsen allerdings keine tatsächlich progressiven Kräfte. Linksradikale Ideen werden dabei, wenn überhaupt, geduldet. Meistens aber aufgrund von „Hufeisen-Denken“ abgelehnt. Es soll eine vermeintliche „Mitte“ gestärkt werden, die längst rechte Gedanken teilt und so die damit einhergehenden Ideen der Ausgrenzung und Abschottung selber übernimmt. Anfangs waren wir erfreut über die Proteste, wir wurden allerdings schnell desillusioniert, weil dabei die tatsächlichen Ursachen des sogenannten Rechtsrucks, wie Abstiegsängste oder fehlende linke Antworten auf die multiplen Krisen, nicht in den Blick genommen werden. Auch auf die Wahlen hatten die Proteste ja bisher keinerlei Auswirkungen.
Viele der Massendemonstrationen fanden ja in Städten wie Hamburg, Berlin oder Köln statt. Wie können Antifaschist*innen in Ostdeutschland und dortigen ländlicheren Regionen solidarisch unterstützt werden?
Auch in Dresden gab es für hiesige Verhältnisse relativ große Demonstrationen mit zwischenzeitlich mehreren zehntausenden Teilnehmer*innen. Abseits der Großstädte waren die Proteste kleiner, aber trotzdem großflächiger verteilt als ursprünglich erwartet. Helfen würde Antifaschist*innen vor Ort vor allem eine langfristige und nachhaltige solidarische Unterstützung. Also Anreisen zu Demonstrationen und Aktionen vor Ort aus größeren Städten und/oder anderen Bundesländern. Finanzielle Unterstützung, um wegfallende Fördermittel zu ersetzen und Projekte finanziell unabhängiger arbeiten lassen zu können. Außerdem werden finanzielle Mittel benötigt, um zunehmende Repressionskosten abzufedern und den Rückzug von Menschen aus emanzipatorischen Strukturen aus Repressionsgründen zu verhindern. Und was immer hilft: vor Ort nachfragen, was benötigt wird, Städtepartnerschaften bilden und zielgerichtet helfen oder in die betroffenen Regionen ziehen.