Michael Dangel (links, ohne Kappe) am 10. September 2022 beim ersten „Netzwerktag“  des NPD-Presseorgans „Deutsche Stimme“ im „Flieder Volkshaus“ in Eisenach.
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Im Stuhlkreis durch die Midlifecrisis

Der „Thing der Titanen“

Szenebekannte Namen und ein überdimensionierter Titel sollten die extreme Rechte lebensweltlich und ideologisch zusammenbringen. Nach inzwischen sechs solcher Seminarwochenenden herrscht allerdings Ernüchterung.

Der „Thing der Titanen“ war tatsächlich auf den ersten Blick ein Seminarwochenende mit Szeneprominenz für kleines Geld. Für die erste Veranstaltung am 8. Oktober 2021 waren Beiträge von Szene-Anwältin Nicole Schneiders, dem Europa-Chef der 2023 verbotenen Hammerskin Nation und Gründungsfigur des Neonazi-Kampfsportformats Kampf der Nibelungen Malte Redeker, dem neonazistischen Unternehmer und Medienaktivisten von FSN TV Patrick Schröder sowie Multiaktivist Frank Kraemer angekündigt. Im Haus der religiös-völkischen Ludendorffer-Bewegung im baden-württembergischen Herboldshausen (Landkreis Schwäbisch Hall) sollten sie über „Rechte Lebensführung“ referieren. Der rechte YouTuber Christian „Outdoor“ Illner referierte überraschend nicht als Survivalspezialist, sondern als Philosoph.

Auch bei späteren Veranstaltungen wurde mit bekannten Namen geworben: dem gealterten Neonazi Günther Kümel (vgl. LOTTA #85, S. 28f.) oder Philipp „Phil“ Neumann von der RechtsRock-Band Flak. Als der „Thing“ akademischer werden sollte, referierten der extrem rechte Publizist Tomislav Sunić über die „Faschismuskeule“ und der US-amerikanische Psychologe Kevin MacDonald über die „evolutionspsychologische Strategie der Judenheit“. Inzwischen wurden sechs Veranstaltungen plus „Weihnachtsthing“ in Baden-Württemberg, Thüringen und Rheinland-Pfalz groß angekündigt, aber so klandestin wie RechtsRock-Konzerte durchgeführt.

Sternenpolka

Doch bereits beim zweiten „Thing der Titanen“ im rheinland-pfälzischen Kusel-Bledesbach scheiterte der eigene Anspruch an jeden Intellekt. „Volkslehrer“ Nikolai Nerling überraschte mit einem Vortrag über Farbenlehre und Heraldik, der die jüdische Weltverschwörung an der Farbkombination blau-gelb und beispielhaft am Königswappen Schottlands und deutschen Polizeiautos bewiesen haben will. Auch an fünfzackigen Sternen könnten die geheimen Mächte erkannt werden, die für die Weltkriege verantwortlichen seien und hinter den Farben der „Transfahne“ stünden. Und obwohl beim Volkstanz ausgerechnet eine Sternenpolka, von Nerling „Umerziehungspolka“ genannt, mit zum Programm gehört, ist das sein Vorschlag zur Gegenwehr im ohnmächtigen Kampf gegen die Weltbeherrscher und Unterdrücker des deutschen Volkes beim zweiten „Thing der Titanen“ unter dem Titel „Die Welt im Sturm“.

Das technisch schlechte Video aus der Scheunenbaustelle vom judenhassenden Referenten Nerling machte online die Runde und sorgte offensichtlich auch intern für Abschreckung: Der „Thing der Titanen“ wächst nicht. Beim dritten „Thing der Titanen“ war Nerling dennoch wieder im Programm. Diesmal mit den „Volkskraftwochen“.

Organisationstalente

Initiiert wurden die „Things“ von Michael Dangel aus Heilbronn. Ab dem zweiten Thing lud Sascha Wagner (vgl. LOTTA #90, S. 30) mit ein. Der Steuerberater Dangel bewegt sich seit Jahrzehnten in diversen Strukturen der extremen Rechten. Es gibt auch nicht viele bekannte Neonazis, die weltanschaulichen Wegbegleitern Steuertipps geben können. Wenn diese dann auch noch Unternehmen haben, bei denen eine höhere Steuerlast vorliegt, lässt sich nachvollziehen, wie Dangels Netzwerk über die Jahre gewachsen ist. Wegen seiner Kontakte musste Dangel auch im baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschuss zu dem Mord an Michèle Kiesewetter aussagen.

Angetreten als Organisator eines „Titanentreffens“ firmieren die Seminare auf Anraten des „Philosophen“ Illner nur noch als „Thing“. Seit dem vierten Wochenendseminar ist das Themenspektrum von rechter Lebenswelt auf das monothematische Steckenpferd Dangels, der sich für einen großen Ökonomen zu halten scheint, zusammengeschrumpft. Eine Umbenennung in „rechtslibertärer Stammtisch unter Einbeziehung neonazistischer Kameraden zum Sturz der BRD“ wäre folgerichtig und wenigstens ehrlich gewesen.

Kollektives Glück

In mehreren seiner Videos zeigt er die selbsternannte „Dangelsche Matrix“ der nationalen Idee, mit der er libertäre bis nationalsozialistische Modelle vorstellt. Zum Teil hält er Referent:innen an, sich selbst auf seiner Matrix zu verorten. In einem Ankündigungsvideo des ersten „Thing der Titanen“ präsentiert er ein Zitat des 2012 verstorbenen libertären Publizisten Roland Baader mit den Worten „Der Satan unseres Alltags ist der Staat“.

Dessen marktradikale Staatsferne findet sich bei Dangel wieder. Er korrigiert sogar einen Gesprächspartner, als dieser von Deutschland spricht: „Buntland!“ Darunter versteht Dangel eine „linksgrün versiffte bunte Republik, in der das kollektive Glück für Personen, die der nationalen Idee verhaftet sind, gänzlich unmöglich“ sei. Es bliebe nur das individuelle Glück in kleinen Gemeinschaften, in denen sie ihr wahrhaftes Leben entfalten könnten. Diese würden jeden Tag stärker und „insbesondere in Krisenfällen zu einem Riesenproblem für die ethnisch entkernte, degenerierte und identitätslose bunte Republik.“ Also schlägt Dangel vor: „Arbeiten wir in diesen Seminaren an dieser Entwicklung weiter.“

Die Ausrichtung der rechten Gemeinschaft zählt er sogar auf: „National-soziale Vorstellungen, bis hin zu libertären, autoritären bis hin zu anarchistischen.“ Und trotz des „mannigfaltig politischen Spektrums“ der Rechten treffen sich seine Teilnehmenden beim „Thing der Titanen“, „weil es auch Gemeinsamkeiten gibt“. Auch unter den Referent:innen seien beim „Thing der Titanen“ alle vertreten: „Veganer, Kampfsportler (…) bis zum philosophierenden Vertreter der Apoliteia im Sinne von Julius Evola.“ Evola (geboren 1898) war ein italienischer Faschist, überzeugter Antisemit und Rassentheoretiker.

Einordnung

Insgesamt wirkt die Vorstellung des „Thing der Titanen“ vor dem Hintergrund der dilettantischen Organisation, Dangels narzistischer Selbstdarstellung und des naiven Hantierens mit nationalsozialistischen Inhalten schon lächerlich. Die Veranstaltung muss auch als Lebenszeichen zweier abgehalfterter Neonazis gesehen werden, mit dem sie sich wieder in den Mittelpunkt stellen. Wagner kann sich als großer Zusammenbringer inszenieren. Dangel hat sich eine Bühne gebaut, auf der er seinen Geltungsdrang ausleben und sich als Intellektueller aufspielen kann.

Man darf aber nicht vergessen, dass Dangel und Wagner es durchaus ernst meinen, wenn sie davon sprechen, der demokratischen Gesellschaft Gemeinschaften entgegenzusetzen, denen der Bezug auf den Nationalsozialismus selbstverständlich gilt. Sowohl die Organisator:innen als auch Teile der Referent:innen bewegen sich im militanten Neonazismus. Auch wenn die Referent:innen sicher kein breites Publikum ansprechen, verfügen einige durchaus über ein Standing in der Szene. Dennoch bleibt der „Thing der Titanen“ eine klandestin organisierte Nischenveranstaltung. Nicht auszudenken, was dieses Format in fähigeren Händen in den sozialen Medien hätte anrichten können.

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