2019, München-Pasing: Stürzenberger versucht, mit Kamera in der Hand, dem Protest gegen eine AfD-Kundgebung auf die Pelle zu rücken.
Robert Andreasch

Nach Mannheim

Von Robert Andreasch Nach Mannheim Über das Attentat auf Michael Stürzenberger

Mannheim, 31. Mai 2024, 11:30 Uhr: Auf dem Marktplatz sollte eine halbe Stunde später eine Kundgebung der muslimfeindlichen „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) um Michael Stürzenberger starten. Es kam anders. Der 25-jährige Suleiman A. war aus dem hessischen Heppenheim nach Mannheim gereist, um Stürzenberger mit einem Messer anzugreifen. Und das tat er dann auch. Stürzenberger wurde erheblich im Gesicht verletzt. Die anwesende Polizei erfasste die Situation nur unzutreffend. A. nutzte das und stach dem Polizisten Rouven L. mehrere Male in Hals und Kopf. L. verstarb letztendlich an seinen Verletzungen.

Nachdem sie zuvor bereits hunderte Kundgebungen im Raum München gemacht hatte, zieht die BPE-Truppe seit einigen Jahren wie ein Wanderzirkus durch Deutschland. Bei den stundenlangen Kundgebungen provoziert Stürzenberger bevorzugt junge Männer, die er für Muslime hält. Und es finden sich immer wieder Einzelne, die darauf einsteigen. Wenn Stürzenberger bedroht, antisemitisch beleidigt oder körperlich angegriffen wird, scheinen sich gewissermaßen seine Ressentiments zu bestätigen, die er gegen alle Muslim_innen hegt.

Seit einer Reihe von Verurteilungen versucht er, den Begriff eines „politischen Islams“ zu verankern und als Kritiker des Islamismus und nicht des Islams wahrgenommen zu werden. Doch deutlich wird immer wieder, dass er allen Muslim_innen einen unveränderbaren Drang zur Barbarei unterstellt. Und er trägt auch weiterhin sein früheres Engagement mit sich herum: zum Beispiel seine führende Rolle beim rassistischen Hetzportal PI-News, seine Auftritte bei HOGESA in NRW und PEGIDA in Dresden und seine Zusammenarbeit mit europäischen Rechtsaußen von Tommy Robinson bis Geert Wilders. Keine Verschwörungstheorie ist ihm zu dumm, um sie nicht gegen Muslim_innen zu verwenden. Als im Jahr 2011 über 50 Menschen an verdorbenen Sprossen – übrigens aus deutscher Bioproduktion – starben, schrieb sich Stürzenberger die Finger wund über einen angeblichen „Fäkalien-Dschihad“ muslimischer Arbeiter_innen in spanischen Gemüsebetrieben.

Die extreme Rechte setzt nach

Schon wenige Minuten nach der Tat schlachtete die extreme Rechte das Geschehen weidlich aus. Auf1, Deutschlandkurier, Einprozent und viele andere teilten das Video vom Attentat. Später folgten Interviews der Jungen Freiheit und anderer rechter Medien mit dem frisch operierten Stürzenberger im Krankenhausbett. Rechte Kanalbetreiber_innen und Aktivist_innen gaben sich im Ludwigshafener Klinikum die Klinke in die Hand. Beatrix von Storch twitterte: „An diesem Tag gilt mehr denn je: Islamismus stoppen! AfD wählen! #Mannheim“. Stefan Brandner erklärte für die AfD, dass der Vorfall „ein weiteres Mal deutlich“ gemacht habe, „dass die deutsche Politik infolge des jahrelangen Versagens der wechselnden Regierungen, des Bundespräsidenten, der Kirchen, Gewerkschaften und sonstigen Akteure hilf- und vor allem Messerstechern gegenüber schlicht wehrlos ist“.

Dass Stürzenberger die USA beschwört und auf Aufklärung und Demokratie verweist, hat extrem rechte Akteur_innen in der Vergangenheit teilweise verstört, andere stießen sich an seiner überaus plakativ zur Schau getragenen, vorgeblichen „Israelsolidarität“. Während Stürzenberger Muslim_innen für deren angeblich tiefe Verwurzelung in Religion und Tradition kritisiert, ist für viele „Neurechte“ gerade dies ein Sehnsuchtsziel im Kampf gegen den Hauptfeind Liberalismus. Nach dem Attentat wurden derartige ideologischen Differenzen zurückgestellt, wofür vor allem Martin Selllner sorgte. Die Schlagwörter vom „Großen Austausch“ und von der „Islamisierung“ verbinden die völkische Hetze Sellners seit jeher mit der antimuslimischen Daueragitation Stürzenbergers.

Antimuslimischer Rassismus trifft auf Islamismus

Nach dem Attentat postete der Telegram-Kanal Ummah Nachrichten: „Michael Stürzenberger ist ein bekannter Feind Allahs. Möge er an seinen Verletzungen krepieren.“ Stürzenbergers antimuslimischer Rassismus ist die eine Seite des Problems. Die andere ist die Radikalisierung von islamistischen und antisemitischen Akteur_innen hierzulande. Sechs Jahre vor dem Attentat von Mannheim hatte der Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent geschrieben, „Rassismus, rechter Populismus und Extremismus“ seien die „nationalen Resonanzräume des internationalen Dschihadismus“. Der radikale Islamismus einerseits und die organisierte Muslimfeindlichkeit andererseits würden eine „symbiotische Wirkung entfalten“. Beim Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) heißt es: „Gerade im Vergleich von Quellen des Dschihadismus und Rechtsterrorismus sehen wir starke Überschneidungen in den Aufopferungsnarrativen der jeweiligen Spektren. Sie agieren aus einem ‚Pflichtbewusstsein‘ heraus und fetischisieren Gewalt mit Blick auf eine apokalyptische Endzeitvision, die sie zu verhindern denken.“ Ufuq, die Fachstelle zur Prävention religiös begründeter Radikalisierung, verweist darauf, dass es Ziel von dschihadistischen Terroranschlägen sei, „unsere Gesellschaft zu spalten und einen Bürgerkrieg zwischen Muslim_innen und Nicht-Muslim_innen herbeizuführen.“ Al-Qaida zum Beispiel habe planmäßig versucht, „eine totale Konfrontation zwischen Gläubigen und Ungläubigen zu provozieren“.

Nicht ohne Grund erinnert das an das „neurechte“ Gerede von „Vorbürgerkrieg“ und „Bürgerkrieg“ sowie an die Strategien des Rechtsterrorismus. Einen „Rassekrieg“ auslösen, das woll(t)en auch Blood and Honour, Combat 18 und der NSU. Die rechtsterroristische Gruppe S. wollte durch Attentate auf Moscheen eine Gewaltspirale in Gang setzen. Djihadistische Attentate erleichtern die Agitation der extremen Rechten, die sich als Opfer gerieren und ihre eigene Militanz als „Notwehr“ verbrämen können. Auf der Webseite der neonazistischen Partei Der III. Weg steht seit 2019: „An islamischen Terror mussten wir uns gewöhnen, an weißen Gegenterror müssen wir es auch.“

Vom Rassisten zum „Islamkritiker“?

Im deutschen Politikdiskurs fand eine gesellschaftskritische Diskussion über die Gefahren des Djihadismus nach Mannheim allerdings nicht statt. Stattdessen wurde erneut die rassistische Abschottungs- und Abschiebehysterie gesteigert. Jochen Kopelke, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), laut Rheinischer Post: „Der Deutsche Bundestag muss das Thema Gewalt gegen Polizisten und Messergewalt zusammen debattieren.“ Dann müssten „Entschlossenheit im Durchsetzen von Abschiebungen von Straftätern und Rückhalt für Polizisten folgen.“ Nach dem Attentat wurde Stürzenberger zudem in vielen Medienberichten, vom ZDF über den BR, von der Frankfurter Rundschau über BILD und Focus bis zur Berliner Morgenpost als „Islamkritiker“ verharmlost. Dass rechte Hetzer wie er auch Opfer ihrer eigenen oder einer anderen, ebenfalls reaktionären Ideologie werden könnten, spielte dabei keine sichtbare Rolle. Die BPE führte ihre Versammlungen nach dem Attentat – zunächst ohne Michael Stürzenberger – unter massivem Polizeischutz fort.

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