Bernd Schwabe, Hannover

Sichtbarmachen, aufklären und verändern

Der Kampf gegen antikurdischen Rassismus

Mit 1,3 Millionen Angehörigen sind Kurd*innen eine der größten ethnischen Minderheiten in Deutschland. Etwa eine halbe Million von ihnen kamen seit 2013 als Geflüchtete nach Deutschland, mehrheitlich aus den Staaten Türkei, Irak, Syrien und Iran. Ende 2023 gründete sich in Duisburg die „Informationsstelle Antikurdischer Rassismus“ (IAKR). Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Civan Akbulut über Arbeit und Ziele des Vereins.

Warum habt ihr den Verein gegründet?

Die IAKR ist ein Angebot von Betroffenen für Betroffene. Unsere Gründungsmitglieder eint, dass wir alle antikurdischen Rassismus in unserem Leben erfahren. Die Idee für eine Informationsstelle, die sich schwerpunktmäßig mit antikurdischem Rassismus befasst, habe ich persönlich schon seit vielen Jahren gehabt. In den letzten Jahren fing ich mit Gleichgesinnten an, mir darüber Gedanken zu machen, wie sich dies realisieren lässt. Ich persönlich bekomme bereits seit mehreren Jahren Hass- und Morddrohungen aufgrund meines aktivistischen und politischen Engagements. Ich arbeite schwerpunktmäßig zu den Themen Islamismus und Ultranationalismus, besonders zu türkischem Ultranationalismus in Deutschland, deren Gefahren und Strukturen. Wer zu diesen Themen arbeitet, wird zwangsläufig mit antikurdischem Rassismus in Berührung kommen. Diese Form des Rassismus ist in diesem Kontext omnipräsent und eines der Kernelemente des türkischen Ultranationalismus. Als IAKR wollen wir genau da ansetzen: Betroffenen die Möglichkeiten geben, ihre Lebensrealitäten sichtbar zu machen und dahingehend Aufklärung betreiben. Unsere Arbeit lässt sich auf vier grundlegende Punkte herunterbrechen: Die Dokumentation von Vorfällen von antikurdischem Rassismus, die Verfügbarmachung von Informationsmaterial, themenbezogene wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema unterstützen und Räume schaffen, wo Betroffene auf Wissenschaftler*innen und Multiplikator*innen treffen.

Ihr sprecht spezifisch von antikurdischem Rassismus, was meint ihr damit? Von wem geht dieser Rassismus aus?

Beim antikurdischen Rassismus handelt es sich um eine spezifische Form des Rassismus, die sich gezielt gegen das Kurdischsein richtet. Kurdische Menschen erleben Rassismus, weil sie als Kurd*innen wahrgenommen werden – von unterschiedlichen Täter*innen. Wir müssen uns bewusst machen: Unsere Informationsstelle ist zwar neu, antikurdischer Rassismus ist es aber nicht. Er zieht sich sowohl durch die Geschichte als auch durch die Gegenwart. Kurdische Menschen sind tagtäglich mit diesen rassistischen Erfahrungen konfrontiert: Sie werden systematisch unterdrückt, ihre kulturellen Ausdrucksformen werden verboten und ihre politischen Rechte beschnitten. Es manifestiert sich in den unterschiedlichsten Lebensbereichen, sei es nun im Bildungswesen oder auf dem Arbeitsmarkt, aber auch im sozialen Miteinander. Antikurdischer Rassismus speist sich nämlich besonders aus Verschwörungserzählungen, bei denen Kurd*innen als „gelenkte Puppen“ anderer Mächte diffamiert werden, die – häufig auch mit einem antisemitischen Unterton – Unheil und Spaltung herbeibeschwören würden und verantwortlich wären für unzählige Konflikte und Krisen. Der kurdische Einsatz für Freiheit und Selbstbestimmung sei demnach ein Vorwand, um spalterische Interessen umzusetzen. Bereits Alparslan Türkeş, Gründer der türkisch-rechtsextremen Regierungspartei Milliyetçi Hareket Partisi (Partei der nationalistischen Bewegung, MHP) und ideologischer Gründungsvater der „Grauen Wölfe“-Bewegung, behauptete, dass die kurdische Frage auf einem Komplott ausländischer Feinde beruhe, um die Einheit des türkischen Staates zu schwächen.

Dass die hier von Türkeş erwähnte sogenannte türkische Einheit zwischen Kurdinnen und Türkinnen eine herbeifantasierte und kontrafaktische Darstellung ist, zeigt sich darin, dass er die kurdische Sprache als „primitiv“ bezeichnete und ankündigte, dass jene, die sie sprechen, „auf die gleiche Weise ausgerottet [werden sollten], wie man schon Georgier, Armenier und Griechen bis auf die Wurzeln ausgerottet hat“. Ähnliches findet sich auch im Irak, im Iran und in Syrien. Allen gemein ist die Unterdrückung kurdischer Kultur und Sprache, ebenso wie staatliche Vertreibungs- und Umsiedlungspolitik. Hier kam es auch zu systematischem Massenmord, etwa dem Dersim Tertelesi 1937-1938 in der Osttürkei mit mehreren zehntausend Ermordeten und Vertriebenen, oder der „Anfal-Operation“ 1988, bei der arabische Baath-Nationalisten um die 100.000 Kurd*innen ermordeten und ganze Regionen im Norden des Iraks entvölkerten. Nach der Staatsgründung Israels 1948 wurden nahezu alle kurdischen Jüdinnen*Juden aus Syrien und Irak enteignet und vertrieben. Beim islamistischen Daesh-Genozid wurden tausende Ezid*innen im Irak und in Syrien ermordet und versklavt, die in der Regel zu den Kurd*innen gezählt werden. Zuletzt wurde der von Kurd`*innen begonnene Aufstand gegen das Ayatollah-Regime im Iran brutal niedergeschlagen.

Als IAKR definieren wir antikurdischen Rassismus als „eine systematische Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt gegenüber Personen kurdischer Herkunft. Sie kann sich in vielfältigen Ausprägungen manifestieren, von struktureller Unterdrückung und politischer Marginalisierung bis hin zu sozialer Stigmatisierung und kultureller Negation. Sie fußt auf historisch gewachsenen Vorurteilen sowie politisch und sozial konstruierten Feindbildern, die kurdische Identitäten entwerten und delegitimieren.“

In einer vom Mediendienst Integration beauftragten Studie zu Kurd*innen in Deutschland von 2023 steht, dass alle Befragten von rassistischen Erfahrungen berichteten, diese zugleich aber unsichtbar gemacht werden. So berichteten deutsche Medien über Kurd*innen am häufigsten im Zusammenhang mit dem rassistisch konnotierten Begriff „Clan-Kriminalität“. Teilt ihr diese Einschätzung?

Ich für meinen Fall kenne tatsächlich keine kurdische Person, die noch keinen antikurdischen Rassismus im Laufe ihres Lebens erlebt hat. Antikurdischer Rassismus ist eine knallharte Realität, die tagtäglich viele Menschen weltweit beschäftigt, auch in Deutschland. Es ist für mich daher völlig unverständlich, dass ein so weit verbreitetes Phänomen so wenig Aufmerksamkeit erfährt, nicht zuletzt auch negiert und relativiert wird. Teilweise wird sogar mit Akteuren zusammengearbeitet, die weniger Lösung, sondern nicht zuletzt sogar mitverantwortlich für diesen Umstand sind – wie es zum Beispiel beim Hofieren türkisch-nationalistischer Strukturen der Fall ist. Es braucht um jeden Preis sichere Räume für Betroffene und ein politisches, aber auch zivilgesellschaftliches Umdenken darüber, wie man mit Rassismus umgeht, der nicht ausschließlich von deutschen Rassist*innen ausgeht, sondern auch von anderen extrem rechten Bewegungen. Antikurdischer Rassismus wird nicht nur von einer Tätergruppe reproduziert und nicht alle Schutzräume für Betroffene von Rassismus sind zwangsläufig auch Schutzräume für kurdische Menschen.

Beobachtet ihr auch religiös begründete Diskriminierung, etwa gegen kurdische Alevit*innen oder Ezid*innen? Spielt hier der international (wieder-)erstarkende Islamismus eine Rolle?

Definitiv. Ich kann dazu noch keine quantitativen Angaben geben, da wir erst seit Februar Vorfälle von antikurdischem Rassismus sammeln und dies in der Vergangenheit noch von keiner anderen Stelle getan wurde. Aber antiezidischer und antialevitischer Rassismus ist ebenso eine Realität wie antikurdischer Rassismus. Sie treten nicht selten gemeinsam auf, kommen aber auch in isolierter Form vor. So oder so ist dies ein ernstzunehmendes Problem, das reale Folgen hat, bis hin zu Tätlichkeiten und Benachteiligung in unterschiedlichen Lebensbereichen. Auch in diesem Fall wird sich unterschiedlichster Verschwörungserzählungen bedient, wobei dem oft eine radikale Lesart des Islams zugrunde liegt. Dabei spielt selbstverständlich der besorgniserregende Zuwachs islamistischer Strukturen in Deutschland, aber auch weltweit eine Rolle. Wir erleben aktuell eine zunehmende Radikalisierung in diesem Kontext, die sich auch auf das Sicherheitsgefühl und Wohlbefinden von Kurd*innen, Ezid*innen und Alevit*innen auswirkt.

Habt ihr konkrete Forderungen an politische Entscheidungsträger*innen?

Unserer Meinung nach ergreift der deutsche Staat nach wie vor unzureichende Maßnahmen gegen antikurdischen Rassismus. Es gibt ein gravierendes und tiefgreifendes Verständnis- und Handlungsdefizit in dieser Sache, das sich unbedingt ändern muss. Dieser Eskapismus trägt dazu bei, dass Betroffene sich ernsthafte Sorgen um ihre Sicherheit in diesem Land machen müssen. Ein erster Schritt wäre zum Beispiel, dass antikurdischer Rassismus als solches endlich erfasst wird und nicht weiter pauschal unter „Hasskriminalität“ im Themenfeld „sonstige ethnische Zugehörigkeit“ in Kriminalstatistiken subsumiert wird. Es braucht effektive Aufklärungsarbeit und vor allem darf man problematische Akteure – etwa die „Graue Wölfe“-Bewegung und ihre Strukturen in Deutschland – nicht weiter gewähren lassen, geschweige denn mit ihnen zusammenarbeiten. Nur durch umfassende, gezielte und konkrete Maßnahmen kann antikurdischer Rassismus effektiv bekämpft und eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft geschaffen werden. Dies erfordert neben der Anerkennung des Problems auch die Erfassung und Analyse spezifischer Daten sowie die Umsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung von antikurdischem Rassismus in allen Lebensbereichen und gesellschaftlichen Kontexten.

In Geflüchtetenunterkünften kommt es zu Angriffen auf Kurd*innen, zuletzt im November in Berlin-Tegel, laut den Betroffenen durch Islamisten unter der aktiven Beihilfe des Sicherheitsdienstes. Wie können Menschen in der antirassistischen Geflüchtetenhilfe hier helfen?

Die wachsende Zahl von Übergriffen auf Kurd*innen in Geflüchtetenunterkünften ist äußerst alarmierend. Dass antikurdischer Rassismus dabei eine zentrale Rolle spielt, zeigen die Berichte von Betroffenen und ihren Angehörigen. Behörden und Organisationen, die in Geflüchtetenunterkünften tätig sind, müssen spezielle Schutzmaßnahmen für kurdische Geflüchtete entwickeln und sicherstellen, dass Angriffe und Rassismus konsequent verfolgt werden. Nur durch entschlossenes Handeln und gezielte Maßnahmen kann die Lage für kurdische Geflüchtete und andere Betroffene verbessert und weiteres Leid verhindert werden, damit solche Zustände niemals zur Normalität werden. Die antirassistische Geflüchtetenhilfe sollte ihre Rolle darin finden, auf diese Gefahren aufmerksam zu machen und Druck auf die Verantwortlichen ausüben, damit es endlich zu einem Umdenken kommt.

Wie kann man die Arbeit eures Vereins unterstützen?

Aktuell kann man uns vor allem unterstützen, indem man auf unserer Internetseite als betroffene Person oder Zeug*in entsprechende Vorfälle meldet. Ansonsten freuen wir uns, wenn man auf unser Angebot aufmerksam macht und uns auf den sozialen Medien und in unserem Newsletter verfolgt. Auch für Vorträge stehen wir zur Verfügung.

Weitere Informationen und Kontakt zum Verein unter www.antikurdischer-rassismus.de

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