Antiimperialistische Befreiungsbewegungen
Kritik der Gewalt
Sinnbild für die Verherrlichung des antiimperialistischen Revolutionärs wurde das Konterfei des Zigarre rauchenden kubanischen Guerilleros Ernesto „Che“ Guevara, dessen „Revolutionstagebuch“ in jeder linken WG im Regal stand — meistens ungelesen. Che Guevara beschrieb den Traum von einem „neuen Menschen“, der durch Kampf und Revolution geschaffen wird. Diese Idee der Neuerschaffung des Menschen durch antiimperialistischen Kampf wies trotz unterschiedlicher Inhalte und Zielrichtung mehr Ähnlichkeiten mit dem faschistischen Traum von der nationalen Neugeburt durch Kampf und Krieg auf, als manchem schwärmerischen Antiimperialisten genehm ist.
Der britische Faschismusforscher Roger Griffin benennt eben solch einen Mythos der Erneuerung oder „Neugeburt“ der Nation als ein zentrales Charakteristikum des Faschismus. Doch hier soll es nicht nur um Che Guevara und Kuba gehen, sondern ein breiterer Blick auf die Fallstricke antiimperialistischer Befreiungsbewegungen geworfen werden. Deutlich werden diese beispielsweise an der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) in Nicaragua, der palästinensischen Palestine Liberation Organization (PLO) sowie den westdeutschen Antiimperialistischen Zellen (AIZ).
Autoritäre Entwicklung in Lateinamerika
„Waffen für El Salvador“ lautete der Slogan für eine Spendenkampagne, die die taz Anfang der 1980er Jahre startete, um die Gruppierung Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) zu unterstützen. In den insgesamt elf Jahren, die die Kampagne lief, wurde erfolgreich Geld für die zentralamerikanische Befreiungsbewegung gesammelt. Die ehemalige Befreiungsbewegung wandelte sich 1992, nachdem ein Friedensabkommen den über zehn Jahre andauernden Bürgerkrieg beendet hatte, zur Partei. Ähnlich wie der FSLN in Nicaragua flogen der mittelamerikanischen Befreiungsbewegung die Sympathien westdeutscher Antiimperialist*innen entgegen. Sogar in „Internationalen Brigaden“ kamen sie nach Zentralamerika, um den Befreiungskampf zu unterstützen.
In Nicaragua endete mit der sandinistischen Revolution von 1979 die durch die USA unterstützte Diktatur Anastasio Somoza Debayles und die FSLN übernahm die Macht in Nicaragua. Die Familie Somoza hatte die Politik in Nicaragua seit den 1930er Jahren diktatorisch bestimmt und sie erhielt wegen ihrer antikommunistischen Haltung die Sympathien und die meiste Zeit auch die Unterstützung der USA. 1984 wurde Daniel Ortega für die Sandinist*innen zum Präsidenten gewählt und war bis heute bei allen Wahlen der Kandidat der FSLN. Ziel war anfangs der Aufbau einer sozialistisch orientierten Gesellschaftsordnung, doch schon bald kristallisierte sich der wenig emanzipatorische Charakter des Ortega-Regimes heraus.
Misswirtschaft, Korruption, Menschenrechtsverletzungen und autoritäre Unterdrückung der demokratischen Opposition prägten zunehmend das Gebaren der ehemaligen Befreiungsbewegung und heutigen Regierungspartei, die nicht von Macht und Geld lassen will.
Die PLO in Palästina
In oftmals schiefes Fahrwasser begab sich die antiimperialistische Soli-Szene auch bei der Unterstützung der Palästinenser*innen: Nachdem Israel den Sechstagekrieg gewonnen hatte, wandten sich die Sympathien westdeutscher Antiimperialist*innen der unterdrückten palästinensischen Bevölkerung zu. Diese Sympathien gingen mit einem zunehmenden Antizionismus einher, der sich pauschal gegen Israel richtete. Die Solidarität mit Palästina beinhaltete die Unterstützung von Jassir Arafats PLO, in deren Ausbildungslager sowohl Mitglieder der deutschen Roten Armee Fraktion (RAF) als auch Mitglieder extrem rechter Organisationen reisten. Die PLO hatte eine dezidiert antijüdische Ausrichtung: Bei Angriffen und terroristischen Aktionen — oftmals Flugzeugentführungen — richtete sich ihr Antizionismus gegen Jüdinnen*Juden — weil sie Jüdinnen*Juden waren. Ihr Antizionismus war klar antisemitisch.
Islamistische Organisationen wie die später, 1987, gegründete Hamas standen in Opposition zur PLO und waren nie Teil von ihr. Trotzdem wurde sie — sogar auch nach ihrem mörderischen Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 — von sich als antiimperialistisch verstehenden Gruppen dem „Widerstand“ zugerechnet und es fällt den Aktivist*innen in diesen Kreisen offenbar schwer, ihre Gewalttaten zu benennen.
Die deutsche Szene
Die antiimperialistische „Befreiungsgruppe“, bei der sich wie bei einem Abziehbild der sogenannten Extremismustheorie Militanz, Rechtsextremismus, Islamismus und linke Versatzstücke überschnitten, war die zwischen 1992 und 1995 durch Anschläge aktive selbsternannte Nachfolgegruppe der RAF, die Antiimperialisitischen Zellen (AIZ). Im Jahr 1999 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf zwei als AIZ-Mitglieder angeklagte Personen wegen vierfachen versuchten Mordes zu 13 beziehungsweise neun Jahren Haft. Der verurteilte Michael Steinau nahm angeblich während der Haftzeit Briefkontakt mit dem Neonazi Kai Diesner auf. Diesner war bis 2016 wegen des Schusswaffen-Angriffes auf den Buchhändler Klaus Baltruschat und der anschließenden Tötung eines Polizisten inhaftiert.
Der andere Verurteilte, Bernhard Falk, wurde im Juli 2008 vorzeitig entlassen. Er ist inzwischen Anhänger des Salafismus, nennt sich Muntasir bi-llah und ist nach seiner Haftentlassung aktuell unter anderem in der extrem rechten und prorussischen, Putin-nahen Gruppe Aufbruch Leverkusen aktiv. Gegenwärtig engagiert sich die Gruppe vor allem vermeintlich propalästinensisch und organisiert entsprechende Demonstrationen. Falk ist stellvertretender Parteivorsitzender des als Partei eingetragenen Ablegers Aufbruch Frieden-Souveränität-Gerechtigkeit. Im August 2024 tauchte er in dieser Funktion auf dem „Friedensfest“ der DKP-Zeitung Unsere Zeit auf.
In der antiimperialistischen Szene bestand anfangs aus Solidarisierungszwang teilweise Unwillen, sich eindeutig von den AIZ zu distanzieren. In der Realität hat das Beispiel AIZ gezeigt, wie Islamismus und rechtsautoritäre Einstellungen Eingang in ein antiimperialistisches Weltbild finden können.