Brothers from another Mother
Sebastian Münzenmaier, Damian Lohr und die AfD in Mainz
Als die AfD im August 2023 ihre Europawahlliste in Magdeburg aufstellte, überraschte der Spiegel mit einer Reportage die Öffentlichkeit: Ein klandestines Netzwerk platzierte aus dem Hintergrund 12 Favoriten auf die sogenannte Konsensliste der AfD. Das besondere war, dass dieses Netzwerk vorbei an der bisweilen als dominant geltenden Flügel-Struktur um Björn Höcke agierte. Die Autor*innen der Reportage nannten es das „Münzenmaier-Netzwerk“, welches rund um den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag gesponnen sei. Die Bezeichnung ist nur bedingt treffend: zwar hat Sebastian Münzenmaier ein Netzwerk innerhalb der AfD gut platziert. Doch ist dies auf unterschiedlichen parlamentarischen Ebenen verwoben. Die Basis liegt in Mainz und ist dort rund um die AfD und Burschenschaften gestrickt. Münzenmaier ist hier zwar ein wesentlicher Netzwerkknotenpunkt, doch nicht der einzige.
Netzwerker
Der Spiegel nannte als Gleichgesinnte Münzenmaiers beispielsweise Matthias Helferich (NRW) und Andreas Lichert (Hessen), die in der Vergangenheit noch dem Flügel zugerechnet wurden. Mit Alexander Jungbluth wurde eine weitere Person aus dem Netzwerk in Magdeburg auf Listenplatz 5 gewählt, welcher ihm einen sicheren Einzug in das Europäische Parlament bescherte. Jungbluth war zu diesem Zeitpunkt nicht nur bei Münzenmaier beschäftigt, sondern wurde auch auf dessen Vorschlag im Juni dieses Jahres als stellvertretender Schatzmeister in den Bundesvorstand gewählt. Er ist Beispiel dafür, wie dieses Netzwerk Leute zu Führungspositionen verhilft. Jungbluth zog 2015 aus NRW, wo er stellvertretender Vorsitzender der Jungen Alternative (JA) war, in den Raum Mainz. Hier wurde er in Folge Landesvorsitzender der JA.
Nicht unerheblich für Jungbluths Umzug und Aufstieg dürfte seine Mitgliedschaft bei der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn gewesen sein. Diese ist ebenso im extrem rechten Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) organisiert, wie die Germania Halle zu Mainz, in welcher Münzenmaier Mitglied ist. Ohnehin setzte sich Münzenmaier in der Vergangenheit für seine Bundesbrüder der DB sowie für Mitglieder der Germania Halle ein. Er gilt als Förderer, der immer wieder neue, junge Personen bei der AfD oder JA integriert, die nicht selten aus den Reihen der Germania zu Halle stammen (vgl. LOTTA #90, S. 16 ff.).
Jüngstes Beispiel hierfür ist Benjamin Steiner, ebenfalls Burschenschafter der Mainzer Germania Halle. In den vergangenen Jahren war dieser unter dem Label der Identitären Bewegung sowie deren lokaler Nachfolgestruktur Aktives Hessen aktiv. Im vergangenen Jahr tauchte er im Umfeld des Landesvorstands der JA auf, war bei der Stadtratsfraktion der AfD in Mainz angestellt und ist nun im AfD-Kreisverband Mainz in den Vorstand gewählt worden, dessen Vorsitzender ebenfalls Münzenmaier ist. Mittlerweile ist Steiner Fraktionsgeschäftsführer der AfD im Mainzer Stadtrat und sitzt im Ortsbeirat Mainz-Oberstadt. Ein weiteres Beispiel ist John Hoewer: das EinProzent-Vorstandsmitglied soll, wie Der Spiegel berichtete, bei Münzenmaier angestellt sein. Auch Hoewer ist DB-Burschenschafter und hat einen Beitrag in den Burschenschaftlichen Blättern als Mitglied der Kölner Burschenschaft Germania sowie der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn gezeichnet.
Es entspricht dem Selbstverständnis der DB, ihre Leute in Positionen zu bringen, in denen sie die Ausrichtung von Organisationen prägen können, um so möglichst in die Gesellschaft zu wirken (vgl. LOTTA #94, S. 23 ff.). Münzenmaier hat dies verinnerlicht und handelt nach dem Prinzip. In einem Beitrag in den Burschenschaftlichen Blättern von 2022 unterstreicht er, wo er den Platz der Burschenschafter sieht; „ganz vorn!“.
Funktionär
Auch Damian Lohr ist diesem Netzwerk zuzurechnen und repräsentiert dies im rheinland-pfälzischen Landtag in Mainz. Noch 2018, im Vorfeld der Wahl zum JA-Bundesvorsitzenden galt Lohr innerhalb der JA als „Vermittler aller Lager“, wie das ehemalige Bundesvorstandsmitglied Nicolai Boudaghi im Buch „Im Bann der AfD“ schrieb; ein Kandidat, auf den sich „gemäßigte“ und „Flügel-Anhänger“ haben einigen können. Eine Fehlannahme, wie sich noch im gleichen Jahr herausstellte. Boudaghi musste, wie er beschrieb, gegen Lohr nachgeben, als er vier Mitgliedern der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn die Aufnahme in die JA verwehren wollte; „Rassismus gepaart mit Spinnerei“, attestierte Boudaghi diesen.
Lohr, der als Mitglied der Mainzer Germania zu Halle 2017 in Couleur am Fackelmarsch beim „Burschentag“ der DB in Eisenach teilnahm und ebenso wie die Raczeks in der DB organisiert ist, wollte das nicht akzeptieren und setzte sich als Bundesvorsitzender letztendlich durch. Als Abgeordneter der AfD im Landtag in Rheinland-Pfalz untermauerte Lohr zudem, wo er mit der AfD steht. Zuletzt im März dieses Jahres in seiner Rede zur Aktuellen Debatte zur „Zunahme rechtsextremer Straftaten in Rheinland-Pfalz — Braune Sümpfe aus Hass und Hetze trockenlegen“. Lohr nutzte die Debatte für einen Gegenangriff und folgte typischen Erzählungen der AfD, indem er die Partei zur angegriffenen „Opposition“ erklärte und von „Denkverbote[n], Säuberungen und Finanzspitzelei“ fabulierte. Die rechtsmotivierten Taten in der polizeilichen Kriminalstatistik bezeichnete er als nicht objektiv und versuchte, die Zahlen runterzurechnen und zu bagatellisieren.
Rechtes Zentrum
Die Wege von Lohr und Münzenmaier verlaufen schon lange parallel. Beide übernahmen bereits ab 2013 in der neugegründeten AfD-Parteijugend Führungspositionen; Lohr wurde in den ersten Bundesvorstand gewählt, Münzenmaier zum Landesvorsitzenden in Rheinland-Pfalz. Im Jahr darauf folgte Lohr auf Münzenmaier als Landesvorsitzender und zog im Mai 2016 schließlich mit der AfD-Fraktion in den rheinland-pfälzischen Landtag ein. Münzenmaier wurde 2017 in den Bundestag gewählt, wo er seit 2019 stellvertretender Fraktionsvorsitzender ist.
Beide sind auch in das Zentrum Rheinhessen involviert, mit dem sie versuchten, einen zentralen Ort für Veranstaltungen zu etablieren und ein Angebot an das Vorfeld der Partei zu machen. 2017 gründete Lohr hierzu mit anderen Burschenschaftern zusammen den Verein Deutsches Kulturerbe in Rheinhessen. Er selbst übernahm einen Posten im Vereinsvorstand, sein Stellvertreter wurde Philip Stein, Leiter des extrem rechten Crowdfunding-Projekts EinProzent und als Mitglied der Marburger Burschenschaft Germania Bundesbruder von Lohr. Komplettiert wurde der Vorstand durch Lothar Mehlhose, ebenfalls Mitglied der Mainzer Germania zu Halle sowie der AfD (vgl. LOTTA #89, S. 36 ff.). Aus dem Verein sollte 2022 das Zentrum Rheinhessen hervorgehen, das seine Räumlichkeiten im Mainzer Stadtteil Hechtsheim hatte. Im folgenden Jahr wurde auch der Name des Vereins dahin geändert und lautet nun Zentrum Rheinhessen — Deutsches Kulturerbe in Rheinhessen.
Im September 2022 war Lohr außerdem Versammlungsleiter bei der Gründung des Box-Club Rheinhessen e.V., bei dem er anschließend auch Rechnungsprüfer war. Mittlerweile wird der Boxclub laut Vereinsunterlagen komplett von Burschenschaftern der Germania Halle geführt. Es folgten im Zentrum zahlreiche Veranstaltungen der AfD, bei welchen auch extrem rechte Akteure zu Gast waren. Auch das zehnjährige Jubiläum der JA wurde im Juni 2023 im Zentrum mit einer „20er Party“ gefeiert. Ein Höhepunkt dürfte die Alternative Buchmesse im Herbst 2023 gewesen sein, zu der der Verein Zentrum Rheinhessen in seinen Räumlichkeiten einlud. Als Schirmherr trat wiederum Sebastian Münzenmaier auf, der dem SWR gegenüber sagte: „Wir bieten den Verlagen, die vielleicht auf der Frankfurter Buchmesse nicht erwünscht sind, eine Alternative Buchmesse.“ Dementsprechend setzte sich die Klientel zusammen, die die Veranstaltung besuchte, wie auch die Liste der Verlage, auf der Oikos (Die Kehre), Hydra Comics und Jungeuropa angekündigt waren, die dem „neurechten“ Spektrum angehören.
Zum Jahresende 2023 wurde dann bekannt, dass dem Zentrum Rheinhessen vom Mainzer Bauamt die Nutzung des Gebäudes für Veranstaltungen untersagt wurde. Letztendlich wurde auch der Mietvertrag vom Besitzers Anfang 2024 aufgelöst. Münzenmaier versuchte gleichermaßen auf Angriff zu schalten und über „eine ganz klare links-grüne Handkäsmafia“ zu schwadronieren und sich andererseits in Gelassenheit zu üben und anzukündigen, dass man eigentlich sowieso etwas größeres suche. Letztendlich zog das Zentrum Rheinhessen nach Ingelheim. Hier sollen allerdings keine Veranstaltungen stattfinden und die Räumlichkeiten nur als Lager und Bürofläche dienen. Unter der neuen Adresse sind auch die Wahlkreisbüros von Münzenmeier und Lohr ansässig.
Weitere Bestrebungen?
Es ist naheliegend, dass das Zentrum Rheinhessen den Erwerb einer eigenen Immobilie anstrebt, um künftig selbstständig über die Räumlichkeiten verfügen zu können. Auch dürfte es der Anspruch sein, ein bundesweit relevantes Zentrum zu etablieren, das als Netzwerkknotenpunkt dienen soll und worauf auch die Germania Halle jederzeit zugreifen kann. Münzenmaier und Lohr stellen hierbei nicht nur durch ihre Mandate ein nahezu ideales Tandem dar. Denn Lohr ist nicht nur ein vernetzter Akteur der extremen Rechten, sondern auch in der Lage, strategisch auf Machtpositionen hinzuarbeiten und parallel tatsächliche Absichten zu verschleiern. Auch Münzenmaier verstand es in der Vergangenheit, auf verschiedenen Ebenen Netzwerke zu spinnen und Mitstreiter zu gewinnen. Diese können hier noch nicht vollständig abgebildet werden. Jedoch lässt sich in Mainz gut nachzeichnen, was das Netzwerk jungen Rechten anzubieten hat, die bereit sind, ihren Lebensmittelpunkt in den Raum Mainz zu verlagern.
Gleichzeitig lässt sich bislang nur mutmaßen, wie tief das Netzwerk in andere Bundesländern reicht. Bislang sind Räume wie das Zentrum Rheinhessen in der beschriebenen Funktion eine Rarität im Westen. Wächst das Netzwerk auch in anderen Ländern weiter, könnte sich das ändern. Auch da es offenkundig auf Burschenschaften zurückgreifen kann, sind weitere Zugänge in die AfD gesichert. Zumal zu befürchten ist, dass im kommenden Jahr einige Mandate zu besetzen sind, was auch weitere zu besetzende Stellen bedeutet. Ob der Einfluss des Netzwerks jedoch ausreichen wird, um die AfD auch an der Spitze zu dominieren, ist augenblicklich nicht auszumachen. Dennoch dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Vertreter des Netzwerks erneut auf Wahllisten auftauchen, zumal im kommenden Jahr Bundestagswahlen anstehen.