Bald österreichische Zustände?

Vier Überlegungen zur Normalisierung der AfD

In Deutschland bleibt sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene eine Regierungsbeteiligung der AfD bisher aus. Wie lange die sogenannte „Brandmauer“ aufrechterhalten wird, erscheint allerdings – gerade auch angesichts der jüngsten Wahlergebnisse in ostdeutschen Bundesländern – immer ungewisser. Zum Verständnis weiterer Schritte zur Einbindung der AfD sowie der Spielräume antifaschistischer Auseinandersetzungen mit ihr erscheint es uns sinnvoll, auf die Entwicklung ihrer österreichischen Schwester- und teilweise auch Vorbildpartei FPÖ zu blicken.

Die Normalisierung des parteiförmigen Rechtsextremismus ist in Österreich in Form der FPÖ sehr weit vorangeschritten: In den letzten 25 Jahren war die Partei zweimal Teil einer Bundesregierung (Schwarz-Blau I 2000-2005, Schwarz-Blau II 2017-2019). Gegenwärtig regiert sie in fünf von neun Bundesländern mit. Nach dem Wahlsieg in der Steiermark Ende November 2024 (35%, fast 10 Prozentpunkte Vorsprung auf die nächstplazierte ÖVP) stellt die FPÖ erstmals seit 2005 zudem wieder einen Landeshauptmann (vergleichbar mit demder Ministerpräsidentin eines Bundeslandes). Trotz des FPÖ-Wahlsiegs bei der Nationalratswahl Ende September 2024 (28,85%, 2,5% Vorsprung auf die ÖVP) bleibt Stand 3. Januar 2025 unklar, ob es zu einer erneuten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene kommt. Bis zuletzt schlossen alle Parteien eine Koalition mit der FPÖ zumindest unter dem derzeitigen Parteichef Herbert Kickl aus. Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS sind aber sowohl Neuwahlen, die wohl zu einem erneuten Zugewinn der FPÖ führen würden, als auch ein Umschwenken der konservativen ÖVP realistische Möglichkeiten.

Grenzen antifaschistischer Skandalisierung

Auch wenn die FPÖ Zeit ihres Bestehens ein Sammelbecken für ehemalige und nicht so ehemalige Nazis war, hat sie historisch – ähnlich wie die AfD in den letzten Jahren – einige Flügelkämpfe und inhaltliche Verschiebungen zwischen einem eher (national-)liberalen und einem völkisch-nationalistischen Kurs erlebt. Mit der Wahl Jörg Haiders zum Bundesparteivorsitzenden 1986 setzte sich letzterer durch. Die programmatische Entwicklung ist seither eher von einer weiteren Zuspitzung des rechtsextremen Profils geprägt. Gleichzeitig begann der bis heute andauernde Aufstieg der FPÖ. Die Geschichte der antifaschistischen Auseinandersetzung mit der FPÖ ist durch wiederkehrende Versuche geprägt, die rechtsextreme Ideologie und insbesondere (neo-)nazistische Bezüge und Kontakte der Partei zu skandalisieren – teilweise durchaus erfolgreich.

1986 war die Wahl Haiders für die SPÖ noch Grund genug, ihre damalige Koalition mit der FPÖ aufzulösen. Gleichzeitig verdoppelte die FPÖ mit neuer Programmatik bei den folgenden Wahlen ihr Ergebnis auf knapp 10 Prozent. Auch in den darauffolgenden Jahren hatten von Haider und der FPÖ produzierte Skandale tatsächliche Konsequenzen zur Folge: So musste Haider, nachdem er 1989 noch mit Hilfe der ÖVP zum Kärntner Landeshauptmann gewählt wurde, gut zwei Jahre später nach einer Rede im Kärntner Landtag, in der er dem Dritten Reich eine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ attestierte, wieder abtreten.

Auch 15 bis 20 Jahre später waren die engen Beziehungen zwischen der FPÖ und den deutschnationalen – gerade in Österreich damit immer auch ideologisch im Völkischen verwurzelten – Burschenschaften ein zentraler Ansatzpunkt antifaschistischer Kritik, wie sich am Beispiel der Proteste gegen den WKR-Ball in der Wiener Hofburg zeigt. Zwar gelang es aus antifaschistischer Perspektive dabei, ein breites Bündnis zu schmieden, personelle und ideologische Verbindungen aufzuzeigen und zu skandalisieren und damit hohe Aufmerksamkeit zu erlangen. Zeitgleich erholte sich die FPÖ unter der Führung von HC Strache (ab 2005) von ihrer Selbstzerlegung innerhalb der vergangenen Bundesregierung. Sie sprang sogar – als der WKR-Ball kurzzeitig bedroht war, aus der Wiener Hofburg zu fliegen – ein und fungiert seither als Gastgeberin des im Zuge dessen umbenannten „Akademikerballs“. Im selben Jahr, in dem das Protestbündnis No WKR nach massiven Repressionen 2015 seine Auflösung bekanntgab, führte die FPÖ landesweite Umfragen mit um die 30 Prozent an und erreichte bei den Wahlen in der Stadt Wien mit 30,8 Prozent den zweiten Platz. Skandalisierungsversuche brachten die FPÖ zwar sicherlich immer wieder in Erklärungsnot und konnten ihr punktuell schaden. Ihren langfristigen Aufstieg verhinderten sie aber nicht.

Diese kurzen Episoden verweisen auf den ambivalenten Charakter der Skandalisierung als Strategie: Sie setzt auf eine – vermeintlich oder real existierende – antifaschistische Zivilgesellschaft, die durch das Aufzeigen des rechtsextremen Charakters der FPÖ oder der AfD mobilisiert werden und die Regierung und politische Parteien zum Handeln zwingen soll. Das kann – insbesondere kurzfristig – durchaus erfolgreich sein und bleibt selbstverständlich notwendig. Das Beispiel Österreich verweist aber auch darauf, wie eine „Routine“ der Skandalisierung in gewissem Maße zur Normalisierung des Rechtsextremismus beitragen kann. An den ideologischen und personellen Verstrickungen der FPÖ mit den Burschenschaften und anderen (Neo-)Faschist*innen hat sich in den vergangenen Jahren nichts verändert. Ganz exemplarisch zeigt sich dies darin, dass drei ihrer Kandidaten zum Nationalrat am Wahlwochenende am Begräbnis eines neonazistischen Burschenschaftlers teilnahmen. Einen Tag darauf wurde die FPÖ erstmals stärkste Kraft bei einer Nationalratswahl. Alle drei Begräbnis-Teilnehmer schafften den Einzug ins Parlament.

Transnationale Normalisierung

Bei der ersten FPÖ-ÖVP-Koalition im Jahr 2000 trat der Regierungsbeteiligung der FPÖ breiter Widerstand entgegen: Neben einem massiven gesellschaftlichen Aufschrei in Österreich empörten sich sowohl die EU- als auch weitere Staaten über den Tabubruch, eine rechtsextreme Partei in die Regierung einzubinden. Sie sanktionierten Österreich, indem sie die bilateralen Beziehungen einschränkten oder gar aufhoben. Die sich bereits abzeichnenden Reaktionen schlugen sich auch in der Regierung nieder: Die ÖVP stellte trotz schwächerem Wahlergebnis den Kanzler, Haider durfte kein Ministeramt übernehmen, und die FPÖ besetzte die ihr zugesprochenen Ministerien mit verhältnismäßig moderaten Vertreter*innen. Letztlich ließen zwar nicht unmittelbar diese Reaktionen, aber die durch die Regierungszusammensetzung hervorgerufenen inneren Brüche in der FPÖ Schwarz-Blau I scheitern.

Als 2017 die ÖVP unter Sebastian Kurz die Wahl gewann, ging sie zum zweiten Mal eine schwarz-blaue Koalition ein. Der internationale Kontext hatte sich allerdings gewandelt: Die FPÖ-Regierungsbeteiligung schien nun kein Problem mehr auf internationaler Ebene zu sein. Statt Sanktionen gab es Glückwünsche von ideologisch verwandten Regierungsparteien wie dem Fidesz in Ungarn und der polnischen PiS. Das abrupte Ende von Schwarz-Blau II im Mai 2019 lag dann auch nicht am gesellschaftlichen oder internationalen Druck. Vielmehr führte der betrunkene Versuch des Vize-Kanzlers, die Kronen-Zeitung im Gegenzug für Regierungsaufträge an eine fiktive russische Oligarchennichte zu verkaufen, zum Bruch seitens der ÖVP und einem Ende der Koalition. Was sich hier am österreichischen Beispiel zeigt, ist eine Art „transnationale Normalisierung“ des Rechtsextremismus beziehungsweise autoritärer Regierungen: Mittlerweile regieren in fünf EU-Staaten Parteien, die jeweils in den drei rechten bis rechtsextremen Europaparteien fraktioniert sind. Nicht mitgerechnet sind die zahlreichen nach rechts geschwenkten Regierungsparteien der EVP und in Teilen sogar der europäischen Sozialdemokratie. Gleichzeitig wurde in den USA gerade Donald Trump wiedergewählt, in Argentinien regiert Javier Milei. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Zwar weist das Beispiel des Skandals um den AfD-Spitzenkandidaten bei der Europawahl, Maximilian Krah, darauf hin, dass bei deutschen Politiker*innen internationale Reaktionen auf offensichtliche NS-Relativierungen – vermutlich auf Grund der als unmittelbarer wahrgenommenen Verbindung mit dem Nationalsozialismus – (noch) schärfer ausfallen als bei der FPÖ. Trotzdem erscheint mit Blick auf das internationale Umfeld im Falle einer AfD-Regierungsbeteiligung ein wirklicher Skandal oder gar eine diplomatische Isolation Deutschlands, wie sie gegenüber Österreich im Jahr 2000 zumindest kurzfristig stattfand, als ziemlich unrealistisch.

Konservative als Wegbereiter

Um den zunehmenden (Wahl-)Erfolg rechter Kräfte zu verstehen, reicht es nicht aus, auf diese selbst zu blicken, sondern es muss insbesondere auch die sogenannte bürgerliche Mitte betrachtet werden. Thorsten Mense schlägt hierzu das Konzept des „bürgerlichen Resonanzraums“ für rechtsextreme Politik vor, mit dem er das mediale und parteipolitische Umfeld des rechten Aufschwungs fassen will. Dabei stellt er eine zunehmende Übernahme und inhaltliche Annäherung Konservativer, zum Teil auch Linksliberaler an die Positionen und Konzepte der Rechtsextremen fest und, damit einhergehend, eine gesellschaftliche Normalisierung ihrer Ideen. Die diskursive Vormachtstellung rechter Politiken lässt sich in Österreich besonders gut am Beispiel des konservativen Jungpolitikers Kurz nachzeichnen: Er übernahm bereits als Außenminister weite Teile der rassistischen und autoritären Politik der FPÖ (Stichworte: „Schließung der Balkanroute“, „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen“) und führte, nachdem er die ÖVP-Führung übernommen hatte, einen stark auf Migrationsthemen fokussierten Wahlkampf, der die folgende erneute Koalition mit der FPÖ bereits diskursiv vorbereitete.

Die Öffnung konservativer Parteien hin zu (noch) weiter rechts stehenden Positionen stellt dabei ideologisch keinen Bruch dar. Rechtsextremismus muss vielmehr als eine Zuspitzung vieler Vorstellungen und Politiken der sogenannten Mitte verstanden werden. Gerade dass Rechtsextreme immer an gewisse Vorstellungen dieser Mitte anknüpfen können, erlaubt es bürgerlichen Parteien in gewissen Situationen, ihre Macht mit deren Hilfe abzusichern – allerdings auf Kosten einer weiteren Normalisierung gewisser Positionen und einer Ausweitung des politisch Sagbaren. In Österreich lässt sich das besonders gut bei der ÖVP nachvollziehen: Als 2000 die FPÖ erstmals von der ÖVP in die Regierung geholt wurde, hatte Letztere gerade die Wahlen verloren und war erstmals nur auf dem dritten Rang gelandet. Durch die Zusammenarbeit mit der erstarkten FPÖ sah sie eine Chance, nach 30 Jahren endlich wieder das Kanzleramt zu übernehmen. Ähnliches war bei der erstmaligen Wahl Haiders zum Landeshauptmann Kärntens 1989 geschehen, als die ÖVP diesen stützte, um der eigentlich stimmenstärksten SPÖ den Posten abzunehmen.

Solche Situationen, bei welchen Bürgerlich-Konservative gemeinsam mit der AfD versucht haben, unliebsame Politiker*innen loszuwerden, gab es in Deutschland vor allem auf kommunaler Ebene. Auf Landesebene stellt der Fall Thomas Kemmerich bis jetzt eine Ausnahme dar: Nach der vorletzten Landtagswahl in Thüringen versuchten die bürgerlich-konservativen Kräfte gemeinsam mit der AfD, den FDP-Politiker Kemmerich zum Ministerpräsidenten zu wählen, um den amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) loszuwerden. Damals war der gesellschaftliche Widerstand gegen diesen „Kipppunkt“ (noch) zu groß. Mit den Erfahrungen in Österreich lässt sich aber vermuten, dass dies nicht das letzte solche Ereignis war und vor allem Konservative erneut versuchen werden, politische Macht gegen eine weitere Normalisierung des Rechtsextremismus einzutauschen.

Personifizierte Abgrenzung

Eine mögliche Form der Einbindung Rechtsextremer bei gleichzeitiger Abgrenzung lässt sich in Österreich wiederholt erkennen: die Personalisierung „des Problems“ durch den Verweis auf einzelne (Führungs-)Figuren. Als die FPÖ nach den Wahlen 1999 erstmals Teil einer Bundesregierung wurde, durfte, wie erwähnt, der damalige Parteivorsitzende Haider in Antizipation der internationalen und gesellschaftlichen Reaktionen kein Ministeramt übernehmen. Auch heute betont ÖVP-Chef Karl Nehammer stets, der aktuelle FPÖ-Chef Kickl stelle ein „Sicherheitsrisiko“ für Österreich dar. Er wolle daher mit diesem keine Koalition eingehen. Gleichzeitig regieren Schwarz und Blau nun in fünf Bundesländern gemeinsam. Dass die jeweiligen Landesparteien der FPÖ dabei in keiner Weise „gemäßigter“ als die Bundespartei sind, lässt sich exemplarisch am niederösterreichischen Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer nachvollziehen. Dieser ist in Österreich insbesondere für die sogenannte „Liederbuch-Affäre“ bekannt: Kurz vor den vorletzten Landtagswahlen 2018 – Landbauer war bereits damals Spitzenkandidat – wurde öffentlich über ein Liederbuch seiner Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt berichtet, welches mehrere antisemitische und rassistische Liedtexte enthält, die zum Teil sogar im Verdacht der NS-Wiederbetätigung stehen. Nach nur einem halben Jahr halbherzigen Rückzugs war Landbauer auch bei der nächsten Wahl 2023 wiederum Spitzenkandidat. Anschließend ging die ÖVP mit ihm und seiner Partei eine Regierungskoalition ein. Um nur einige programmatische Aspekte dieser Koalition zu nennen: Subsidiär Schutzberechtigte haben im schwarz-blau regierten Niederösterreich weder Anspruch auf Sozialleistungen noch freien Zugang zum Arbeitsmarkt, die Bezahlkarte für Asylsuchende wurde eingeführt und in regierungsabhängigen Institutionen und Behörden wurde das Gendern verboten. Ein Skandal bleibt aus. Die rhetorische Abgrenzung von als besonders „radikal“ ausgemachten Vertreter*innen rechtsextremer Parteien bei gleichzeitiger Einbindung auf anderen Ebenen ist also ein wiederkehrendes Muster in Österreich. Wenn in Deutschland vereinzelt bereits von einer „Höcke-AfD“ in Abgrenzung zur „konservativen“ Alice Weidel gesprochen wird – so äußerte sich zuletzt beispielsweise Sahra Wagenknecht – erscheint der Weg zu einem ähnlichen politischen Manöver nicht mehr weit.

Wie weiter?

Noch hält die formale Abgrenzung zur AfD in Deutschland weitestgehend. Je stärker die Partei wird, desto wahrscheinlicher wird es aber auch, dass es zu Konstellationen kommt, in denen bürgerliche Parteien ihre politische Macht mit Hilfe der Rechtsextremen sichern wollen. Der Blick nach Österreich zeigt dabei einige mögliche Wege, wie eine Einbindung und damit einhergehende Normalisierung solcher Parteien voranschreiten kann. Eine transnationale Linke muss sich gemeinsam die Frage stellen, wie solche Normalisierungsprozesse verlaufen und wie Strategien gegen sie aussehen können – gerade in Zeiten, in denen leider in immer mehr Ländern solche Entwicklungen zu beobachten sind.

Die Skandalisierung rechtsextremer Politik und die Tabuisierung einer Zusammenarbeit mit deren Akteur*innen sind sicherlich weiterhin notwendig und richtig. Wie der Blick in die bürgerliche Mitte zeigt, müssen wir uns aber bewusst sein, dass – je weiter sich der bürgerliche Resonanzraum öffnet – die Mittel der Skandalisierung zunehmend erschöpft sind und nicht mehr greifen. Gleichzeitig gilt es die ideologische Ebene zu betrachten: Die FPÖ schafft es seit bald vierzig Jahren, ihr menschenverachtendes Programm immer anschlussfähiger zu machen und dabei auch die anderen Parteien vor allem im Bereich einer rassistischen Migrations- und „Sicherheits“-Politik vor sich herzutreiben. In der langfristigen Perspektive verweist gerade auch die Entwicklung des konservativen bis linksliberalen (Parteien-)Spektrums in Österreich darauf, wie brüchig und ideologietheoretisch falsch das angerufene Bild der von rechtsaußen bedrohten, antifaschistischen „Mitte“ ist.

*Die Autoren sind (Ex-)Mitglieder der „Plattform Radikale Linke“.

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