Braun am Berg

Das Gebirge als Bezugsrahmen und Wirkungsraum der extremen Rechten

Topographisch stellt das Gebirge oftmals eine Grenze dar: unzugänglich, abgelegen und lebensfeindlich. Gleichzeitig ist es jedoch auch Sehnsuchtsort und Bühne. Im Sommer 2021 sorgten frauen- und queerfeindliche sowie rassistische und offen nationalsozialistische Namen von Kletterrouten in Österreich für Aufsehen. Ein rechter Bergsportler hatte diese Routen erschlossen und benannt. Auch die „Identitären“ wandeln gerne in den Bergen, zahlreiche Fotos zeigen sie inszeniert vor Bergpanorama beim gemeinsamen Sport in der Natur. So werden sie gerne gesehen, beim kameradschaftlichen Sport in der heimatlichen Natur. Diese intensiven Bezüge auf Berge in der extremen Rechten sind nicht neu. Die Berge dienten schon lange als Bühne.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Gebirge zu einem Sehnsuchtsort. Zahlreiche alpinistische Vereine wurden ins Leben gerufen, eine Entwicklung, die sich auf verschiedene kulturelle und soziale Bereiche erstreckte. Jüdinnen*Juden begegnete freilich auch in den Bergen schon seit langem Antisemitismus, auch wenn es in diesen Regionen fast keine jüdische Bevölkerung gab. Jüdisches Leben in Österreich konzentrierte sich auf die Städte und besonders auf Wien. Bereits 1498 wurde etwa die gesamte jüdische Bevölkerung aus dem Land Salzburg ausgewiesen. Erst die neue Staatsgesetzgebung von 1867 hob diese und ähnliche diskriminierende Einschränkungen auf. Nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie wurde Wandern, Natur und Erholung zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für Österreich und den Alpenraum. Aber auch zahlreiche politische Organisationen nahmen die Gebirgsregionen mehr und mehr in Beschlag. Heftig wurden Kämpfe um Räume geführt.

Rechte Aktionszonen vor 1938

Die Erste Österreichische Republik war von Beginn an von antisemitischen Untertönen geprägt. Bereits in den 1920ern erklärten sich etwa zahlreiche Urlaubsorte, nicht zuletzt auch in den Gebirgsregionen als „judenfrei“ und verlangten für einen Aufenthalt einen „Ariernachweis“. Ähnlich agierten alpinistische Organisationen: So beschloss etwa die Wiener Alpenvereinssektion Austria, die zu diesem Zeitpunkt ein Drittel jüdischer Mitglieder hatte, 1921 einen „Arierparagraphen“. Als Reaktion gründeten jüdische und nichtjüdische Alpinist*innen eine neue Alpenvereinssektion mit Namen Donauland, die sich schnell zur Zielscheibe extrem rechter Aktivitäten entwickelte. Wie mehrheitsfähig deren Antisemitismus war, zeigt, dass der Alpenverein, die gesamte Sektion Donauland 1924 ausschloss.

Spätestens Anfang der 1930er schlugen sich die extrem rechten Umtriebe in den österreichischen Gebirgsregionen auch in Wahlergebnissen nieder. So konnte die NSDAP bei den letzten freien Landtagswahlen im Bundesland Salzburg im April 1932 im direkt in den Alpen gelegenen politischen Bezirk Pinzgau bereits über 25 Prozent der gültigen Stimmen auf sich vereinigen. Im letzten Wahlkreis vor der Grenze zum Hochgebirge, der Gemeinde Krimml, stimmten sogar 37,9 Prozent der Wähler*innen für die NSDAP. Bis zur Machtübernahme mussten sich die Nazis in Österreich allerdings noch etwas gedulden, da die Erste Republik zunächst ab 1933 durch den Austrofaschismus zerschlagen und zur Diktatur umgebaut wurde. Auch diese faschistische Strömung versuchte den Bergen ihren Stempel aufzudrücken. So wurde etwa der Bau der höchstgelegenen befestigten Passstraße, der Großglockner-Hochalpenstraße, zu einem zentralen politischen Prestigeprojekt der Austrofaschisten. Dementsprechend wurde auch beim dort installierten monumentalen Gedenkort beim Fuscher Törl auf 2.428 m ü. A. (über Adria) dem von den Nazis ermordeten austrofaschistischen Diktator Engelbert Dollfuß gedacht.

Alle Dämme brechen

Gegen die erstarkenden Nationalsozialisten konnten sie sich dennoch nicht behaupten. Im Februar 1938 brannten im Salzburger Pinzgau Feuer auf den Berghängen. Aus allen Winkeln der Ortschaften waren die hakenkreuzförmigen Feuer sichtbar. Die feurige Inszenierung war ein Zeichen der Stärke der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich, auch bereits vor dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland am 11. März 1938.

Die österreichischen Nazis hatten – wie auch große Teile der „gesellschaftlichen Mitte“ – dem „Anschluss“ Österreichs über viele Jahre lang entgegengefiebert. Als dieser im März 1938 tatsächlich vollzogen wurde, war die Euphorie unter den „Braunen“ grenzenlos. Nicht nur in den großen Städten zogen spontane Mobs durch die Straßen, um zu feiern und Rechnungen mit politischen Gegner*innen zu begleichen. Auch im zuvor bereits genannten beschaulichen Gebirgsort Krimml manifestierte sich der Nationalsozialismus nun völlig ungezügelt. An der Ortseinfahrt wurde ein Schild mit der drohenden Botschaft: „Juden!!!! betreten unseren Ort auf eigene Gefahr“ angebracht.

Einmal mehr dienten auch die Berge als Projektionsfläche der nationalsozialistischen Ideologie. Kaum war die Information über den Beginn der Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich in die abgelegenen Gebirgsgegenden vorgedrungen, stiegen bergaffine Nazis auf, um den Alpen ihren Stempel aufzudrücken. So hissten etwa Nazis aus der Region Kaprun zunächst eine Hakenkreuzflagge auf dem Kitzsteinhorn. In weiterer Folge wagten sie den im Winter äußerst schwierigen Aufstieg zum Gipfel des höchsten Bergs Österreichs: dem Großglockner. Kurze Zeit später meldete die lokale NSDAP-Ortsgruppe per Telegramm nach Wien: „Reichskanzler Adolf Hitler, Wien: In dieser Stunde hißt [unser Parteigenosse] auf der höchsten Zinne Deines Reiches, dem Gipfel des Großglockners, unsere Sturmfahne. Damit grüßt ihren Führer in unentwegter Treue die Ortsgruppe Kaprun der NSDAP.“

In den kommenden Wochen und Monaten wurden Gipfelkreuze im gesamten Alpenraum durch die Hinzufügung von NS-Symbolik und -Sprüchen umgestaltet. Der bereits angesprochene Gedenkort beim Fuscher Törl wurde zum „Anschluss-Denkmal“ umgedeutet. Auch in der NS-Propaganda spielte das Gebirge eine wichtige Rolle. In Progandastreifen wurden Gipfel bezwungen, Gebirgsflanken erklommen, die Hakenkreuzfahne gehisst. Mit dieser Darstellung von Bergen lassen sich mehrere ideologische Versatzstücke des Nationalsozialismus verhandeln. Betont wurde der deutsche Triumph über die Natur. „Die Deutschen“ stehen an der Spitze einer vermeintlich „natürlichen Ordnung“. Die Berge symbolisieren den absoluten und universellen nationalsozialistischen Herrschaftsanspruch, bis hinauf zu den höchsten Gipfeln solle dieser reichen. In diesem Zusammenhang sind auch die Versuche der nationalsozialistischen Wissenschaft zu verstehen, die mystischen Ursprünge der ‚Arier‘ im Himalaya zu suchen.

Berge und Männlichkeit

Die angebliche „arische Überlegenheit“ war auch stark männlich aufgeladen. Der Nationalsozialismus, wie alle extrem rechten Ideologien, beinhaltete ein bestimmtes Männlichkeitsideal: jenes der soldatischen Männlichkeit. Gestählte Körper, die Kraft und Mut darstellen sollen, führen zum „Sieg“ über den Berg, führen „die Deutschen" buchstäblich an die Spitze. Diese gepanzerten (vgl. dazu das Konzept des „Körperpanzers“ von Klaus Theweleit) männlichen Körper boten keinen Raum für Verletzlichkeit, Intimität oder Schwäche. Übrig blieb nur Gewalt, nach außen und innen. Die Hakenkreuzfahne, die häufig über das Geschehen wacht, symbolisiert einen weiteren ideologischen Aspekt: das Aufgehen des Individuums im Kollektiv: „Allein bist du nichts, die Sache (das Volk) ist alles“. Mit militärischer (Bild-)Sprache wurden diese „Tugenden“ demonstriert.

Der Kult um Körper, Gesundheit und Stärke war auch antisemitisch konnotiert. Als „jüdisch“ markierte Körper galten als unfertig und „weiblich“. Juden waren beispielsweise nicht satisfaktionsfähig, Sport war ihnen verboten, Kraft, Mut und andere soldatische Tugenden wurden ihnen sowieso abgesprochen. Diese antisemitischen Narrative haben eine lange Tradition und Kontinuität. Auch in anderen Konzeptionen sind sie zu finden. So passt auch die Dichotomie zwischen „raffendem“ (wie Banken und Börsen) sowie „schaffendem“ Kapital (wie Fabriken und Handwerk) sehr gut in dieses Bild. Jüdinnen*Juden verlegen sich in dieser Weltsicht auf das heimtückische „Raffen“, um ihren vermeintlich schwächeren Körper zu kompensieren.

Zwangsarbeit im Hochgebirge

Die Berge waren nicht nur Bühne, sondern auch Tatort. So befand sich etwa das höchstgelegene Konzentrationslager im nunmaligen „Reichsgau Salzburg“: Das KZ-Nebenlager Uttendorf-Weißsee mit durchschnittlich etwa 450 KZ-Insassen befand sich im hochalpinen Gelände auf etwa 2.300 m Höhe. Dementsprechend waren die Bedingungen. Die klimatischen Gegebenheiten wurden in der Lagerstruktur auch mitgedacht. Die Bewachung war vergleichsweise leicht und durchlässig, aber wer floh, musste sich im rauen Hochgebirge durchschlagen. Die Verteilung marginalen Schutzes vor Witterung wurde auch zur Repression und zur Vernichtung genutzt. Teilweise war nur Zeitungspapier als Wärmeschutz erlaubt.

Auch die Ursprünge des bis heute so wichtigen Wasserkraftwerks Kaprun im Salzburger Land liegen im „Dritten Reich“. Der bereits 1938 begonnene Bau des Kraftwerks galt als Vorzeigeprojekt der NS-Wirtschaft. Minister Hermann Göring setzte höchstpersönlich den ersten Spatenstich. Viele Zwangsarbeiter kamen durch „Arbeitsunfälle“ ums Leben, die durch die Hochgebirgslage besonders gravierend ausfielen. Schlechte Ausrüstung und die Rücksichtslosigkeit der Verantwortlichen wogen schwer, Lawinen und Steinschläge taten ihr Übriges. Mit der Befreiung durch die Amerikaner 1945 wurde das Leiden der Zwangsarbeiter beendet. In der Pfarrchronik von Kaprun findet sich dazu folgende Eintragung: „Die Arbeiterlager […] sind geräumt. Hunger und Peitsche sind für die Russen u. Polen vorbei. Kaprun rüstet zum Empfang der Alliierten – rotweißrote Fahnen wehen wieder.“

Dieser rasante Sinneswandel ist beispielhaft für Österreich, das sich rasch und nachhaltig als „erstes Opfer Hitlers“ inszenierte. Der Nationalsozialismus sei ein deutsches Phänomen, man selbst sei nur Opfer und zumindest im Geiste immer widerständig gewesen. Passenderweise wurde auch das Kapruner Kraftwerk zu einem Symbol des Wiederaufbaus, medial glorreich inszeniert als ein „neues Österreich“. Ausgespart wurden die nationalsozialistischen Anfänge sowie der massive Einsatz von Zwangsarbeit. Erst in den 1990ern begann die Aufarbeitung und die Entschädigung von – noch auffindbaren – Überlebenden.

Mythos „Alpenfestung“

Die mythische Aufladung der Alpen zeigt sich auch an einer bis heute wirkmächtigen Erzählung über diesen Raum: dem Mythos „Alpenfestung“. Ab Ende 1944 beschwor die NS-Propaganda die Alpen als Zufluchtsort mit unterirdischen Festungen, Fabriken und Vorratslagern, bewacht von Elitetruppen, die den Alliierten noch lange Widerstand leisten könnten. Gezielt wurden fiktive Baupläne an alliierte Geheimdienste weitergeleitet, um Angst zu schüren. Auch der Mythos der vom Reichsführer SS Heinrich Himmler initiierten zum Guerrilakampf bereiten „Werwolf-Gruppen“ spielte hier eine Rolle. Tatsächlich befanden sich bei Kriegsende noch größere bewaffnete Verbände des „Dritten Reichs“ im österreichischen Alpenraum. Die Gründe waren vielfältig, neben „Endsieg“-Fantasien auch die Hoffnung auf bessere Kapitulationsbedingungen.

1945: Kein radikaler Bruch

In der unmittelbaren Nachkriegszeit entwickelten die Alpen eine neue Anziehungskraft auf vormalige teils führende Nationalsozialist*innen. Bis heute ist nicht einmal annähernd bekannt, wie viele von ihnen sich über diesen Gebirgszug auf treffend genannten „Rattenlinien“ in den Süden absetzen und damit ihrer Verantwortung für die NS-Verbrechen entziehen konnten. Am Beispiel einzelner gut recherchierter Fälle, wie jenem des vormaligen Gouverneurs der NS-Distrikte Krakau und Galizien SS-Gruppenführers Otto Wächter, der in seinem Verwaltungsgebiet für mindestens eine halbe Million Holocaust-Opfer mitverantwortlich war, zeigt sich, wie überlebenswichtig die Berge für NS-Täter*innen waren: Er konnte fast vier Jahre im Salzburger Bergland untertauchen, bevor er sich der Verfolgung durch die Überquerung der Alpen komplett entzog.

Gleichzeitig eröffnet der alpine Raum bis heute rechte Erinnerungsräume. So befindet sich etwa im Salzburger Ort Bischofshofen auch heute noch das Sepp-Bradl-Stadion, benannt nach dem NS-Skisprung-Superstar „Bubi Bradl“, der unter anderem bereits vor 1938 Mitglied der in Österreich illegalen SA gewesen war. Besonders befremdlich sind auch die späten „Folgen“ der „Alpenfestung“: Zahlreiche NS-Täter hatten sich schlussendlich in den Gebirgsregionen den alliierten Befreiern ergeben. Aus Angst vor den Konsequenzen ihrer Taten begingen nicht wenige bald darauf Suizid. So etwa Franz Bodmann, einer der fürchterlichsten NS-Medizinverbrecher. Der SS-Offizier war in verschiedenen Konzentrationslagern tätig, beispielsweise in Neuengamme. Als „Standortarzt“ im KZ Auschwitz hatte er etwa die grausame Mordmethode eingeführt, kranke Häftlinge mit Phenoleinspritzungen direkt ins Herz zu töten. Als Angehöriger der SS-Division „Wiking“ zog er sich zu Kriegsende in die Salzburger Gebirgsregionen zurück. Kurz nach der Kapitulation der Division beging er Selbstmord und wurde auf einem der örtlichen Soldatenfriedhöfe in der kleinen Ortschaft Lend bestattet. Bis heute befindet sich sein Grabstein unkommentiert auf einem „Ehrenfriedhof“. Die offensichtlich neonazistisch motivierten regelmäßigen Kerzen- und Blumenspenden an seinem Grab scheinen die für den Friedhof zuständige Behörde – das österreichische Innenministerium – nicht zu stören. Trotz wiederholter Proteste antifaschistischer Aktivist*innen wird diesem NS-Exzesstäter auch heute noch ehrend gedacht.

Was tun?

Der alpine Raum hat eine lange Geschichte der politischen und ideologischen Instrumentalisierung, die weit über den Bergsport hinausgeht. Für die extreme Rechte war und ist er als symbolischer Raum für nationale und rassistische Ideologien von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Bereits vor 1938 diente er als Schauplatz für antisemitische und nationalsozialistische Aktivitäten, die sich bis in die Gegenwart fortsetzen. Der Mythos von der „Alpenfestung“ und die Verbindung von Natur, Männlichkeit und „arischer Überlegenheit“ verdeutlichen, wie das Gebirge als Bühne für die Verbreitung extrem rechter Gedanken verwendet wurde und weiterhin wird. Auch nach 1945 eröffnete der alpine Raum einen Rückzugsort für NS-Täter*innen und einen Erinnerungsort für neonazistisches Gedenken. Die Geschichte der Berge als Kulisse für politische und ideologische Auseinandersetzungen zeigt, wie tief die Verstrickungen zwischen Natur, Kultur und extrem rechten Bewegungen reichen – und wie wichtig es ist, diese Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. Aufgabe antifaschistischer Erinnerungskultur muss es sein, diese Inszenierungen kritisch zu kontextualisieren und aktivistisch zu durchbrechen.