PEGIDA-Initiator Lutz Bachmann (links)  bei der Auftaktkundgebung einer wegen Ausschreitungen von der Polizei abgebrochenen Demonstration am 14. März 2015 in Wuppertal.
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Sie waren „das Volk“

PEGIDA macht nach genau zehn Jahren Schluss

Um die einst bundesweit beachtete Protestserie in Dresden war es ruhig geworden, aber es gab sie noch, die „Patriotischen Europäer“. Seit 2014 trafen sie sich 250 Mal. Doch jetzt ist die außergewöhnliche Bewegung Geschichte

Fast alles war wie gewohnt am 20. Oktober 2024 in Dresden: Ein zum Podium umfunktionierter Kastenwagen steht nahe der ikonischen Frauenkirche. Er ist umringt von gut Tausend Menschen; mit ihren Deutschlandfahnen brechen sie zum „Spaziergang“ durch die pittoreske Altstadt auf. Davor und danach hören sie Reden, begleiten sie im Chor: „Volksverräter!“, „Lügenpresse!“, „Widerstand!“, „Wir sind das Volk!“. Rund drei Stunden geht das so. Wer zusieht, erlebt die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes bei ihrer 250. Versammlung noch einmal so, wie man sie kennt. Aber das Ende unterscheidet sich. Über Jahre pflegte Lutz Bachmann die Bewegung, die er schuf, mit einer Durchhalteparole zu verabschieden: „Pegida ist gekommen, um zu bleiben.“ Doch ein nächstes Mal wird es nicht geben. „Wir werden siegen!“, versichert er nun. Es sind seine letzten Worte auf einer PEGIDA-Bühne. Genau an ihrem zehnten Jahrestag hört die Bewegung auf zu existieren.

Das Ende kam überraschend, erst einige Tage zuvor hatte sich Bachmann mit einem Video an seine Anhänger_innen gewandt: Es werde „die letzte PEGIDA“ sein. Das „Orgateam“ sei personell und finanziell an eine Grenze geraten und müsse „die Reißleine ziehen“. Bei der Entscheidung dürfte ins Gewicht gefallen sein, dass Bachmann seit langem auf Teneriffa lebt. Und dass das Dresdner Amtsgericht den erheblich Vorbestraften im Sommer zu einer 17-monatigen Gesamtfreiheitsstrafe wegen Beihilfe zu Volksverhetzungen verurteilte. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, aber heikel, nur aus gesundheitlichen Gründen wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Noch wichtiger: PEGIDA ist über Jahre hinweg geschrumpft, immer weniger Menschen schlossen sich den „Spaziergängen“ an.

Banaler Gründungsanlass

Das war anders, als PEGIDA vor einem Jahrzehnt spektakulär aufgestiegen ist. Die Gründungsgeschichte ist eine Legende, wonach im Herbst 2014 in der Dresdner Innenstadt Straßenkämpfe zwischen Salafist_innen und Anhänger_innen der kurdischen PKK ausgebrochen seien. Darauf verweist das PEGIDA-Motto auf bis zuletzt verwendeten Transparenten: „Gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden“. In Wirklichkeit hatte am 10. Oktober 2014 eine Solidaritätsdemonstration für die von Kurd*innen gehaltene syrische Stadt Kobanê stattgefunden, damals belagert durch den sogenannten Islamischen Staat. Über ein Megafon waren Waffen für die kurdischen Selbstverteidigungskräfte gefordert worden. Dieser kurze Ausschnitt landete in Bachmanns YouTube-Kanal. Von Islamismus keine Spur, ein „Glaubenskrieg“ tobte in der Landeshauptstadt nicht. Doch der Clip lieferte den Anlass, eine eigene Protestaktion zu planen. Ein Freund_innenkreis von zwölf Personen erstellte eine Facebook-Einladung für den 20. Oktober 2014, der rund 300 Menschen folgten.

Zwischen Hooliganismus und Normalo-Image

Dass die Idee zündete, hatte mit äußeren Umständen zu tun. Die Ausschreitungen, die es in Dresden nicht gab, spielten sich in Hannover und Celle ab. In der „islamkritischen“ Szene fanden solche Entwicklungen viel Beachtung, und nicht zufällig fällt die Entstehung PEGIDAs in die Mobilisierungsphase der Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa), in deren Umfeld spätere PEGIDA-Protagonist_innen auftauchten. Nach der HoGeSa-Randale am 26. Oktober 2014 in Köln bemühte man sich in Sachsen um ein moderates Auftreten und konzentrierte sich auf das im Osten unkontroverse Protestmodell der Montagsdemos. Das eher zivile Erscheinungsbild täuschte über manche militante Episode hinweg.

Zehren ließ sich außerdem von lokalen Konflikten um die Schaffung von Asylunterkünften: Frühere Proteste wie die aus dem NPD-Spektrum organisierten „Lichtelläufe“ Ende 2013 im erzgebirgischen Schneeberg hatten schon gezeigt, dass eine über die rechte Szene hinausreichende Mobilisierung gelingen kann. Die Ausstrahlung auf eine augenscheinlich bürgerliche Klientel wurde denn auch für PEGIDA charakteristisch. Viele Beobachter_innen ließ das annehmen, es mit „besorgten Bürgern“ zu tun zu haben. Tatsächlich war die Lage diffus. Die „Pegidisten“, das zeigten mehrere Befragungswellen, waren nach eigenen Angaben begüterte und gebildete Normalos mit Männerüberschuss und kaum Protesterfahrung. Sie verorteten sich in der politischen „Mitte“.

Plattform für rohe Systemkritik

Umso markanter war die inhaltliche Brücke, die PEGIDA baute: Man war weder schlicht muslim-, noch schier ausländerfeindlich. Man propagierte indes die Vorstellung, dass „Glaubenskriege“ durch ein Versagen der Politik nach Deutschland „importiert“ würden. So wurden zwei sich gegenseitig verstärkende Angstmotive aus der Außen- und der Innenpolitik verkoppelt: Islamismus und Migration, lange bevor der Begriff „Asylkrise“ in Umlauf kam. Mit dem kryptischen Eigennamen gab PEGIDA obendrein zu erkennen, dass der sprichwörtliche Untergang des „Abendlands“ drohe. Der Wirkung tat es keinen Abbruch, dass man niemals Anstalten machte, die Bedeutung von Leitbegriffen wie „Islamisierung“ zu klären. Sie funktionierten als dramatische Zeitdiagnose. Der Protest bot eine Allzweck-Plattform, auf der sich verschiedenste Tagesanlässe zur rohen Systemkritik mit klaren Schuldigen schmieden ließen: „Volksverräter!“, „Lügenpresse!“, „Widerstand!“.

Unerwartete Dynamik

Nach der Auftaktaktion entschloss sich das „Orgateam“ zur Fortsetzung, wöchentlich verdoppelte sich der Zulauf beinahe, ganz ohne Aufruftexte und aufwendige Plakatierungen. Stattdessen zündete das damals typische Credo „Jeder bringt noch einen mit!“ Bis Januar 2015 stieg die Zahl der Mitgekommenen auf bis zu 20.000 an. Gerade wegen der undeutlichen Profilierung lagen die Hürden niedrig. Parallel wurde die Bewegung bei Facebook populär und eroberte die Massenmedien. Zunächst ein Lokalthema, bestimmte der Protest ab Ende November 2014 für Wochen die bundesweiten Nachrichten, oft porträtiert als ostdeutsches Faszinosum. Die pressefeindliche Grundstimmung tat dem keinen Abbruch, sondern hielt das Rätsel am Leben. Tageszeitungen ordneten PEGIDA-Forderungen wohlwollend ein oder druckten sie gar unkommentiert ab. Liveticker und Videostreams machten den Protest zum Medienevent. Das spiegelte sich wieder in einer bundesweiten Mobilisierung und den politischen Reaktionen. Dass sich Bundesparteien Ende 2014 überwiegend ablehnend äußerten und die damalige Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache von der Teilnahme abriet, konterte man auf der Straße – „Merkel muss weg“ wurde für die nächsten Jahre der rechte Kampfruf schlechthin. Nur die sächsische Politik hielt sich mit Bewertungen zurück, die Landesregierung fuhr eine Dialogstrategie.

Expansion und Bruch

Doch das „Orgateam“ verweigerte sich der politischen Umarmung und setzte auf die eigene Stärke, zumal man kräftig expandierte. Ab Ende 2014 gründeten sich bundesweit etliche Initiativen nach PEGIDA-Vorbild. Der von Dresden aus angeleiteten „GIDA-Bewegung“ gehörten insgesamt 46 anerkannte Ableger an. Von ihnen führten 33 eigene Protestaktionen durch, sie brachten rund 1.100 Versammlungen in 82 Orten auf die Straße. Im ersten Quartal 2015 waren zwei Dutzend dieser Ableger parallel aktiv. An fünf Montagen gelang es, neben Dresden in 13 weiteren Städten zu demonstrieren. Doch die meisten Ableger waren kurzlebig, und nirgends ließ sich die in Dresden erlebte Dynamik wiederholen. Auch beim Original hielt sie nicht an, sondern kippte Mitte Januar 2015. Nachdem rassistische Facebook-Postings und ein Foto bekannt geworden waren, das Bachmann mit Hitler-artigem Scheitel zeigt, spaltete sich das „Orgateam“. Zwar setzte die verkleinerte Bachmann-Gruppe den Protest fort, der im Herbst 2015 kurz zu alter Kraft zurückfand, doch die Zeit der Massenmobilisierung war vorüber. Fünfstellig wurde man nach der „Migrationskrise“ nie wieder.

Jahrelanger Niedergang

Dabei rang man sichtlich um Relevanz. Ein Coup war der Auftritt von Geert Wilders im April 2015 und ein Achtungserfolg, dass die frühere HoGeSa-Ikone Tatjana Festerling im Juni 2015 bei der OB-Wahl in Dresden fast zehn Prozent einfuhr. Doch öfter blieb man glücklos: Den ersten Jahrestag der Bewegung verhagelte die Berichterstattung über Akif Pirinçcis „KZ-Rede“. Der Versuch für ein Volksbegehren gegen die Rundfunkgebühr floppte. Das Anfang 2016 aufwendig lancierte transnationale Bündnis „Festung Europa“ ging rasch ein. Dasselbe Schicksal ereilte Mitte 2016 die „GIDA-Bewegung“. Die meisten Ableger hatten sich als unkontrollierbar erwiesen, sie sagten sich los oder wurden ausgeschlossen.

So war PEGIDA die längste Zeit ein Scheinriese, an dem man vielfach Anleihen nahm und dessen Bühne man gerne nutzte, um sich – wie etwa Götz Kubitschek, Martin Sellner und Jürgen Elsässer – vor großem Publikum zu inszenieren. Doch echte Verbündete fand man kaum. Dem stand der Alleinvertretungsanspruch entgegen, die tonangebende „Hauptstadt des Widerstands“ zu sein. PEGIDAs größtes Pfund war dabei die bemerkenswerte Kontinuität, mit der man dem Niedergang trotzte. Erreichte man 2015 einen Schnitt von fast 6.000 Teilnehmenden, hatte sich der Wert 2016 fast halbiert und bis 2019 geviertelt, bevor die Dreistelligkeit zur Regel wurde. Traf man sich anfangs fast jede Woche, lichtete sich nun das Angebot. Im ersten Corona-Jahr gelang noch ein ungefähr zweiwöchentlicher Turnus, aber seit 2022 fanden die Kundgebungen nur noch sporadisch mit teils monatelangen Pausen statt.

Ringen um Aufmerksamkeit

Neun der zehn PEGIDA-Jahre standen im Zeichen einer schleichenden Demobilisierung. Nach dem Hoch kam der Zulauf fast nur noch vom Stammpublikum aus Dresden und Umgebung. Gemeinsam mit diesen gewohnheitsmäßigen „Pegidisten“ alterte die Bewegung. Ihre ritualisierten Abläufe ließen kaum Neuerungen zu, keine klare Positionierung etwa angesichts von Pandemie und Krieg. Stattdessen wurden die Ausgangsthemen zugespitzt, auch um Schritt zu halten mit dem innerrechten Diskurs. Statt um Islamismus ging es seit langem um den Islam, aus „Islamisierung“ wurde „Überfremdung“. Die anfängliche Befürwortung von Integration wich Rufen nach „Remigration“ und „Deportation“. Auch sonst wurde der Ton vulgärer. Bachmann selbst phantasierte 2019 auf der Bühne, einen Graben auszuheben und politische Gegner_innen hineinzuwerfen. Solche Ausfälle halfen punktuell gegen die schwindende mediale Aufmerksamkeit. Aber sie dürften auch dazu geführt haben, keinen festen Anschluss an ein politisches Erfolgsprojekt zu finden, in dessen Schatten man verblasste: die AfD.

Nach einer langen Konfliktgeschichte prägten vehemente Annäherungsversuche die letzten PEGIDA-Monate. Seit November 2023 ließ man bei fünf Kundgebungen in Folge AfD-Politiker sprechen, die Landes- beziehungsweise Fraktionsvorsitzenden der ostdeutschen Verbände. Bachmann rief dazu auf, „blau“ zu wählen. Als Höhepunkt war ein „patriotisches Sommerfest“ mit Redner_innen der Jungen Alternative geplant, das am 31. August 2024 stattfinden sollte – einen Tag vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Doch dieses Fest fiel ins Wasser, kurzfristig abgesagt, angeblich weil die Mutterpartei die geplanten Auftritte unterband. Danach traf sich PEGIDA nur noch ein Mal. Um sich aufzulösen.

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