Rechtes Potpourri im Schatten des Doms
Neonazistische Strukturen in der Bistumsstadt Fulda und drumherum
„Eine Stadt für das angenehme und junge Leben“, wirbt die Stadt Fulda auf ihrer Homepage. Eine Umfrage habe ergeben, dass es „Hessens schönste Stadt“ sei. Etwa 100 Kilometer von Frankfurt entfernt liegt die Stadt nahe der Grenze zu Thüringen, in einer ländlich geprägten und erzkatholischen Region. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich hier eine unterschiedliche Spektren umfassende Naziszene gebildet.
„Damals wie heute – Freiheit erkämpfen“ lautete das Motto eines von den hessischen Jungen Nationaldemokraten (JN) organisierten Fackelmarsches im November 2012 im osthessischen Hünfeld. Seitdem am 25. Februar 2012 Martin Braun aus Bad Hersfeld zum Vorsitzenden der hessischen JN gewählt wurde, nahmen deren Aktivitäten in Osthessen zu. „Höhepunkt“ sollte der Fackelmarsch am 10. November werden. Trotz langer Mobilisierungsdauer und des geschichtsträchtigen Datums blieb die Beteiligung weit hinter den Erwartungen zurück, lediglich 80 Nazis fanden den Weg nach Hünfeld. In einer sehr verspätet veröffentlichten Nachbetrachtung verkündeten die JN dennoch: „Bekanntheit und Zuspruch der hessischen JN sind so hoch wie nie zuvor.“ Seit 2009 ist der 23-jährige Braun Teil der hessischen Naziszene. Bereits im November 2009 fungierte er bei einem NPD-Aufmarsch in Friedberg als Ordner. Seine politische „Karriere“ trug dazu bei, dass er sowohl seinen Ausbildungsplatz bei der Zeitarbeitsfirma Randstadt wie auch seinen „Job“ als Schiedsrichter verlor. Im Vorfeld des Aufmarsches suchte Braun die DGB-Jugend in Fulda auf. Unter falschem Namen ließ er sich zu Problemen in seiner Ausbildung beraten und plauderte anschließend noch mit dem Jugendbildungsreferenten über den bevorstehenden Aufmarsch. Erst später fiel auf, wer da zu Besuch war. Die Bundesgeschäftsstelle der JN erklärte auf Nachfrage der Frankfurter Rundschau, dass Braun den „politischen Gegner“ erfolgreich ausspioniert habe. Braun hingegen behauptete, er habe sich wirklich beraten lassen wollen und habe den falschen Namen aus Angst, sonst keine Beratung zu erhalten, benutzt. Auch die regionale NPD rief zu dem Fackelmarsch auf. Unter den hessischen NPD-Kreisverbänden ist einer der wenigen funktionierenden der NPD-Kreisverband Fulda/Vogelsberg. Dennoch gehen bis auf einzelne Aktionen wie Infostände, teils gemeinsam mit dem KV Hersfeld-Rotenburg, keine wahrnehmbaren eigenen Aktivitäten von ihm aus. Einzelne Funktionäre wie Martin Kohlhepp aus der Region Fulda sind zwar stets auch bei überregionalen „Pflicht-Terminen“ der NPD vertreten, ansonsten dürfte die Personaldecke jedoch dünn sein.
Bruderschaft Hessen
Zu den osthessischen Unterstützern des Aufmarschs zählen auch die Bruderschaft Hessen sowie die Aktionsgruppe 4 Hessen. Während die Aktionsgruppe zwar über eine veraltete Internetpräsenz verfügt, im „realen Leben“ jedoch nicht auftritt, verhält es sich mit der Bruderschaft Hessen umgekehrt. Ein Homepage gibt es nicht, inhaltliche Äußerungen der Gruppe sind rar gesät. Am 1. Mai 2011 trat die Gruppe bei einem Aufmarsch in Hof erstmals in Erscheinung. Gruppeneigene „T-Hemden“ geben als Herkunft Fulda und Hanau an, wobei die Mitglieder nicht nur aus Osthessen kommen. Auch Personen aus Unterfranken sowie aus Mittelhesssen traten bereits mit den T-Shirts der Bruderschaft öffentlich auf. Auf dem Rücken tragen die Gruppen-Shirts den Aufdruck „Wir alle zusammen und keiner allein“, eine Zeile aus dem Song „Du bist nicht allein“ der Band Kategorie C. Musik dürfte ohnehin ein Interessensschwerpunkt der Mitglieder sein. Verbindungen gibt es auch zu den Hammerskins. Darauf weist nicht nur die Anlehnung im Namen „Bruderschaft“ hin. Einige Aktivisten reisten auch zum klandestin organisierten europäischen Hammerfest nach Toul (vgl. LOTTA #50, S. 28). Auch in Fulda besteht um den Ex-Republikaner Daniel Orlewicz eine Hammerskin-Struktur. Mit dem sächsischen NPD-Vize Maik Scheffler, der neben seinem Engagement in der Partei und im Freien Netz dem Netzwerk der Hammerskins angehört, stand in Hünfeld ursprünglich auch ein Redner auf der Redeliste, der diesem Spektrum einen Anreizzur Teilnahme bietet. Scheffler reiste jedoch nicht an.
Viele Überschneidungen
Zwischen der Bruderschaft Hessen und der JN bestand bisher eine enge Zusammenarbeit, wie sich auch an einem gemeinsamen Zeltlager am Edersee (Nordhessen) zeigte. Nun jedoch scheint mindestens einer der tonangebenden Personen mit der Partei Die Rechte (DR) anzubändeln. Der in Nidderau (Main-Kinzig-Kreis) wohnhafte Marcus Hölzinger, der laut DR „als Kadermitglied der Bruderschaft Hessen“ gilt, unterstützt die neue Partei und nahm sogar am Landesparteitag teil, der eine enge Zusammenarbeit mit „Freinationalen“ beschloss. Bei dem Aufmarsch in Hünfeld trat eine weitere Gruppierung aus der Region in Erscheinung, der Sturm Fulda. Bei dieser Gruppe scheint es sich um einen Zusammenschluss von Neonazis aus verschiedenen Spektren zu handeln. Das u.a. von dem NPD-Aktivisten Martin Kohlhepp getragene Transparent zeigt zwei SA-Männer, die Ästhetik ähnelt jener der Homepage der Aktionsgruppe 4. Der youtube-Kanal des Sturm Fulda wartet mit Videos von NPD-Aktionen auf, gleichzeitig wird mit eindeutigen Symbolen hantiert, Unmengen kleiner Hakenkreuze „zieren“ die Seite.
Den Dom im Dorf lassen?
Wie in zahlreichen anderen Regionen auch, tauchte im Herbst 2012 bei Facebook eine regionale Gruppe der Identitären Bewegung auf. Diese verlinkt hauptsächlich Berichte und Bilder anderer Ortsgruppen oder kommentiert regionale Nachrichten. Jenseits der digitalen Welt trat sie Ende Februar in Erscheinung: Nach eigenen Angaben wurden hunderte Flugblätter verteilt und zahlreiche Aufkleber und Plakate verklebt. Ergänzend posierten zehn Aktivist_innen vor dem Dom und kommentierten bei Facebook: „...an alle Multikultifantasten... wir sind eure Gegner und wir werden wöchentlich mehr.“ Den Dom haben die Identitären nicht zufällig als Kulisse gewählt. Er gilt als Wahrzeichen der Stadt und repräsentiert deren Stellung als Bischofssitz. Dies wirkt sich auch auf die politische Landschaft aus: Früher war das Zentrum die tonangebende Partei, heute ist es die CDU. Alle fünf Oberbürgermeister seit 1946 besaßen ein entsprechendes Parteibuch, mit 51 Prozent verfügt die CDU zurzeit über die absolute Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung. In diesem christlich-konservativen Milieu könnte eine Erklärung liegen, dass sich Neonazis recht ungestört und unbemerkt bewegen können. Auch gegen den jährlich stattfindenden „1000 Kreuze-Marsch“ christlich-fundamentalistischer Abtreibungsgegner_innen mit um die 100 Teilnehmenden regt sich kaum Protest.