Zwischen Höhenflug und Marginalisierung
Die extreme Rechte im nördlichen Rheinland-Pfalz im Jahr 2017
Im nördlichen Rheinland-Pfalz besetzt die AfD politische Räume, die zuvor von offen neonazistischen Organisationen genutzt wurden. Diese wiederum geraten zunehmend in den Hintergrund. Der Versuch einer Bestandsaufnahme.Politisch konsequent störten sich im Dezember 2017 AfD und Junge Alternative (JA) an der angekündigten jährlichen Gedenkveranstaltung für Nihat Yusufoğlu in Hachenburg (Westerwaldkreis). Der 17-Jährige war am 28. Dezember 1990 von Neonazis erstochen worden. „Die Hachenburger Bürger wollen ihre Ruhe und haben den linken Trubel satt“, so die AfD Westerwald. Am Tag des Gedenkens zeigten sich dann Mitglieder der JA Westerwald-Mittelrhein am Rande der Veranstaltung. 2016 war es noch die neonazistische Kleinstpartei Der III. Weg gewesen, die kurz vor dem Gedenkspaziergang der Initiative gegen das Vergessen Hachenburg Flyer verteilte. Und weitere Jahre zuvor störten Aktivist_innen des ebenfalls neonazistischen Aktionsbüros Mittelrhein (ABM).
Die Aufbruchstimmung der europäischen Rechten bestimmte 2017 auch den politischen Jahresbeginn im nördlichen Rheinland-Pfalz. Für den 21. Januar kündigte sich ein europäisches Stell-Dich-Ein der Rechtspopulist_innen an. In der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle lud die Europaparlaments-Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) zur einer Großveranstaltung. Eingeladen hatte die damalige AfD-Bundessprecherin Frauke Petry zusammen mit dem AfD-Europaparlamentarier Marcus Pretzell.
Zurück in die Gegenwart: Das ABM
Als prägender Akteur im Norden des Bundeslandes folgte der 2005 aufgelösten Kameradschaft Westerwald das Aktionsbüro Mittelrhein (ABM), das bis 2012 aktiv war. Mit dem Vorwurf der Bildung einer Kriminellen Vereinigung, entsprechenden repressiven Maßnahmen Anfang 2012 — kurz nach der Selbstenttarnung des NSU — und dem anschließenden Prozess vor dem Landgericht Koblenz wurde diese Struktur erheblich geschwächt. Doch bereits während des Prozesses waren einige aus der U-Haft entlassene Angeklagte wieder in der neonazistischen Szene aktiv, beispielsweise bei der Vorbereitung und Durchführung der jährlichen „Trauermärsche“ in Remagen. Marc M. zögerte dabei auch nicht, seine „Anti-Antifa“-Arbeit — immerhin Gegenstand der Anklage gegen das ABM — fortzusetzen und beispielsweise Gegendemon-
strant_innen zu fotografieren. Die aufgrund der Pensionierung des Vorsitzenden Richters nach fünf Jahren bzw. 337 Prozesstagen erfolgte Einstellung des Verfahrens bedeutete für die Angeklagten nicht nur einen Straferlass, sondern kam für sie einem „Sieg über das System“ gleich. Ihre Verzögerungstaktik — unter anderem durch Befangenheitsanträge der Verteidigung — war erfolgreich, wenn auch nur vorerst. Am 4. Dezember 2017 wurde eine Neuaufnahme des Prozesses beschlossen. Für 17 der einst 26 Angeklagten wird es 2018 also von vorne losgehen.
Nachfolgeorganisation NPD
Parallel zum Wegfall der Strukturen der Kameradschaftsszene geriet die NPD Rheinland-Pfalz in eine existenzbedrohende Krise. Im nördlichen Rheinland-Pfalz gibt es nur noch den Kreisverband Mittelrhein, der maßgeblich aus ehemaligen Mitgliedern des ABM besteht. Im NPD-Landesvorstand ist dieser Personenkreis mit vier Beisitzenden von den insgesamt noch drei bestehenden Kreisverbänden am stärksten vertreten — unter anderem durch die ehemaligen ABM-Führungskader Sven Lobeck und Christian Häger. Die Tatsache, dass ehemalige ABM-Mitglieder die NPD als neues Betätigungsfeld ausgewählt hatten, ändert(e) allerdings kaum etwas am desolaten Zustand des NPD-Landesverbands. Die Wahlergebnisse im Zuständigkeitsbereich des KV Mittelrhein zeigen wie in ganz Rheinland-Pfalz die Krise der NPD auf: In den Wahlkreisen Ahrweiler, Montabaur und Koblenz kam sie nicht über 0,3 Prozent.
Auch wenn sich die NPD nicht als schlagkräftige Nachfolgeorganisation für das ABM darstellt, bietet sie einzelnen Personen dennoch eine geeignete politische Plattform. Eine Nachfolgeorganisation des „Aktionsbüros“ außerhalb der NPD ist aktuell auch nicht erkennbar. Ehemalige Führungspersonen des ABM gingen bundesweit auf Vortragsreise über den ABM-Prozess und nutzen die Partei als öffentliche Plattform. So besuchten einige Angeklagte Ende 2017 den NPD-Europaparlamentsabgeordneten Udo Voigt in Brüssel. Dieser machte nach eigenen Aussagen den Prozess in Koblenz zum Thema im EU-Parlament. Der ABM-Angeklagte Phillip Neumann erfreut sich mit seiner Band Flak sowie als Solokünstler („Phil von Flak“) immer größerer Beliebtheit in der Szene. Als ABM-Hausband angefangen, stehen er und seine Band nun europaweit zusammen mit Blood & Honour- und „Hammerskin“-Bands auf der Bühne. Bei dem Rudolf-Heß-Marsch in Berlin im Sommer 2017 war Häger in die Demoleitung eingebunden und soll laut Informationen von berlingegenrechts.de die Aktion auch angemeldet haben.
Kontinuität „Heldengedenken“
Als Trauermärsche inszenierte nationalsozialistische „Heldengedenken“ spielen für die regionale Szene eine wichtige Rolle. Seit 2003 gibt es regelmäßig Aufmärsche mit einem identitätsstiftenden Vergangenheitsbezug. In den Jahren 2003 bis 2007 diente ein SS-Ehrenmal in Marienfels (Rhein-Lahn-Kreis) als Anlass für regelmäßige Demonstrationen. Schon damals waren auch auswärtige Neonazis wie der Düsseldorfer Sven Skoda vor Ort, eine der später im ABM-Prozess angeklagten Personen. 2005 gab es anlässlich des Jahrestags der Befreiung vom Nationalsozialismus einen ersten Aufmarsch in Remagen im Kreis Ahrweiler. Ab 2009 organisierte das ABM seinen eigenen jährlichen Aufmarsch in Remagen und etablierte einen festen Termin im Kalender der überregionalen Neonazi-Szene. Anlass sind die sogenannten Rheinwiesenlager, alliierte Kriegsgefangenenlager, die nach Kriegsende errichtet wurden. Diese Aufmärsche brachen auch nicht mit dem Koblenzer Prozess und der damit verbundenen Untersuchungshaft vieler Angeklagter ab. Inzwischen hat auch ein weiteres Rheinwiesenlager wieder Konjunktur. Regelmäßig eine Woche nach dem Aufmarsch in Remagen findet in Bretzenheim ein neonazistisches „Heldengedenken“ statt, organisiert von Wilhelm Herbi. Zur Kundgebung erschienen 2017 etwa 90 Teilnehmer_innen am „Feld des Jammers“.
Aufbruchstimmung im Westerwald
Ab 2014 eröffneten sich mit der rassistischen Massenmobilisierung neue politische Räume, in denen die traditionellen Akteur_innen der extremen Rechten ihren Platz finden mussten. Dies ließ sich in den vergangenen Jahren gut im Westerwald beobachten. Dort entstand 2015 aus den Protesten gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft am Stegskopf (Landkreis Altenkirchen) das Bekenntnis zu Deutschland (BzD), maßgeblich initiiert durch AfD-Mitglied Thorsten F. In mehreren Kleinstädten im Westerwald rief der PEGIDA-Ableger zu Demonstrationen auf, an denen zwischen 300 und 500 Menschen teilnahmen. Das BzD zeigt sich von Anfang an offen für Neonazis. An den Demonstrationen beteiligten sich unter anderem Reste der lokalen NPD sowie Mitglieder der ehemaligen Kameradschaft Westerwald und des ABM. Besonders präsent zeigten sich aber Julian Bender und Matthias Herrmann vom Der III. Weg. Mit dem Einschlafen des BzD versuchte Bender, das Vakuum mit eigenen Demonstrationen zu füllen. Thematisch wurde dafür eine geplante DITIB-Moschee in Hachenburg herangezogen. Der III. Weg griff das Thema im Herbst 2016 mit zwei Demonstrationen auf. Im November 2016 gründete sich in Koblenz der „Gebietsverband West” der Partei mit Bender als „Gebietsleiter“. Allerdings brachte dieser im Westerwald kaum 30 Neonazis auf die Straße, die Motivation schwand. Im März 2017 blieb noch ein Infostand in der Hachenburger Innenstadt übrig. Fortan beschränkte sich Der III. Weg auf Flugblattaktionen und interne Veranstaltungen wie ein völkisches Pfingstfest oder ein nationalistisches Pilzesammeln. Im November 2017 folgte ein juristischer Dämpfer: Vier Teilnehmer der Demonstration im Dezember 2016 in Hachenburg wurden wegen Uniformierung auf einer öffentlichen Versammlung verurteilt. Das Tragen einheitlicher Jacken und Mützen sowie das Gesamterscheinungsbild der Demonstration sei laut Gericht geeignet gewesen, „beim Beobachter suggestiv-militante Effekte in Richtung auf eine einschüchternde uniforme Militanz auszulösen“.
Konkurrenznetzwerk
Den neonazistischen Parteien in Rheinland-Pfalz setzen nicht nur die parlamentarischen Erfolge der AfD zu. Es gelang ihnen im Westerwald nicht, die flüchtlingsfeindlichen Proteste aufrecht zu erhalten und sich als politische Kraft zu etablieren. Die AfD etablierte ihrerseits vornehmlich im Westerwald ein AfD-nahes Netzwerk an Konkurrenzorganisationen. Justin Cedric Salka, zweiter AfD-Kreisvorsitzender und ehemaliger Vorsitzender der JA Westerwald-Mittelrhein fungiert hierbei als Bindeglied zur Identitären Bewegung (IB). Bei Aktionen der JA verschwimmt auch schon mal die Trennschärfe zu den Organisationen offener Neonazis. Bei einer Veranstaltung zum Volkstrauertag an einem Kriegsdenkmal in Norken im Westerwaldkreis präsentierte die JA einen ehemaligen NPDler als Fahnenträger. Die Wortwahl des Regionalvorsitzenden der JA, Robert-Leon Pawlik, ermöglicht einen Einblick in die ideologische Verortung der JA-Aktivist_innen: „Auch wenn zum deutschen Volk angeblich alle hier im Lande lebende Menschen gehören, müssen sich nur die Biodeutschen das Opfergewand anziehen.“ Insgesamt verstärken sich im Landesverband der AfD die Verbindungen zu noch weiter rechts stehenden Kreisen — und deren Einfluss auf die Partei (siehe LOTTA #65, S. 17), insbesondere aus dem Burschenschaftsmilieu und der IB. Die wenigsten Berührungsängste gibt es hierbei im Westerwald.
Ausblicke
Das Jahr 2017 zeigte eine geschwächte Neonazi-Szene, die sich zu stabilisieren versucht. Dies gelang nur spärlich. Mit der Neuaufnahme des Prozesses gegen das ABM werden auch 2018 einige wichtige Akteure einen Teil ihrer Kapazitäten in ihre Strafverfahren investieren müssen. Dies hinderte jedoch beispielweise Häger am 13. Januar 2018 nicht, sich zum Bundesvorsitzenden der JN wählen zu lassen. Für die Begleitmusik auf der Wahlveranstaltung sorgte „Phil Flak“.
Aktuell sind es die „Heldengedenken“-Termine, die eine letzte Kontinuität für die rheinland-pfälzische Neonaziszene darstellen. Es ist anzunehmen, dass der jährliche Aufmarsch in Remagen seine wichtige Funktion für die überregionale Neonaziszene behält. Der Versuch von Der III. Weg, sich lokal zu verankern, scheint im Westerwald vorerst gescheitert. Die NPD ist im gesamten RLP von ihrer Marginalisierung beim „Kampf um die Parlamente“, ihrem schwachen Personal und internen Zwistigkeiten schwer angeschlagen. Da kann auch die Verjüngungskur durch Mitglieder des ehemaligen ABM kaum Abhilfe schaffen. Nicht zu unterschätzen sind jedoch die guten sozialen Netzwerke der neonazistischen Szene im nördlichen Rheinland-Pfalz, die es erlauben, auch längere Durststrecken in ländlichen Rückzugsgebieten zu überwintern. Hervorzuheben sind hier der Kreis Ahrweiler und der Westerwaldkreis. Erfolgsversprechend könnte die neonazistische Subkultur bleiben. Die Schaffung neonazistischer Erlebniswelten liegt nach Themar (vgl. Lotta #68, S. 29 ff.) im bundesweiten Trend und unterliegt nicht der Gefahr, von rechtspopulistischen Akteuren vereinnahmt zu werden.