Droht ein extrem rechter Block in der „Europäischen Union“?

Allianzbestrebungen der europäischen Rechtsaußen-Parteien

Die multiplen Krisenerscheinungen verstärken in Europa die politische Polarisierung und öffnen Räume für eine modernisierte extreme Rechte. Rechtsaußen-Parteien gewannen in vielen EU-Ländern an Einfluss und sind mittlerweile sogar Teil von Regierungskoalitionen. Aktuell wird von Rechtsaußen versucht, neue Allianzen auf EU-Ebene zu knüpfen und einen einflussreichen antiliberalen Machtblock verbündeter Natio­nalist:innen zu formieren. Noch verhindert besonders der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eine solche europäische Allianz.

Die multiplen Krisenerscheinungen in Europa und der Welt sind Wasser auf die Mühlen extrem rechter Parteien: Der Ausnahmezustand wird herbeigesehnt und herbeigeredet, um sich nach dem Motto „Das eigene Land zuerst“ (AfD) als autoritären „nationalen Ordnungsfaktor“ ins Spiel zu bringen. Reaktionäre Antworten auf Probleme wie die Klima-Krise paaren sich mit einem rechten populistischen Kulturkampf, der unter Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit Hetze gegen Minderheitenrechte und plurale gesellschaftliche Ausdifferenzierung betreibt. Deutlich wird auch, dass das Heilsversprechen eines neuen grünen Kapitalismus nicht ein Eindämmen von ungleichen Verteilungsverhältnissen und Wachstumszwängen beinhaltet. Doch Wohlstandschauvinismus und Egoismus bieten stets politische Anknüpfungspunkte für rechte Hetzkampagnen.

Von Rechtsaußen in die Mitte

Nach der Implosion der Ostblock-Staaten prägte eine neoliberale Deregulierungspolitik das wirtschaftliche und politische Geschehen in Europa, das die Unterschiede zwischen arm und reich weiter wachsen ließ. In den meisten osteuropäischen Staaten der erweiterten EU grassierten Ethno-Nationalismus und Korruption. In Westeuropa gingen in vielen Ländern wirtschaftsliberale Globalisierungskonzepte einher mit gesellschaftlichen Liberalisierungs- und Pluralisierungstendenzen. Doch eine Gegenüberstellung von ethno-nationalistischem Osteuropa und neoliberal-rechtspopulistischem Westeuropa beschreibt den aktuellen Zustand der europäischen extremen Rechten nicht mehr richtig — vielmehr griffen rechtspopulistische Parolen gegen die liberale Demokratie und das Phantasma eines von den „politischen Eliten“ betriebenen „großen Austausches“ mit der Zeit auch in vielen westlichen EU-Ländern um sich. Fehlende sichtbar linke Politikangebote verstärkten die Wahrnehmung in den nationalen Öffentlichkeiten, es gebe lediglich die Alternative zwischen neoliberal deregulierten „offenen Märkten“ einerseits und dem Kampf um „nationale Kontrolle“ andererseits.

Die Kampagne der englischen Torys für einen BREXIT („take back control!“) versinnbildlichte diese öffentlich anknüpfungsfähige Scheinalternative. Die konservative Regierung hatte 2016, herausgefordert durch die rechtspopulistische UK Independence Party, ein Referendum über den Austritt aus der EU durchgeführt. Das „Leave“-Lager der Torys, dessen prominentester Befürworter Boris Johnson war, übernahm nicht nur das rechtspopulistische Narrativ der die Souveränität und den Reichtum des Landes bedrohenden EU-Bürokratie, sondern setzte ebenso auf migrationsfeindliche Töne. Als vorbildlich für viele Rechtsaußenparteien gilt die Forderung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán nach einer „illiberalen Demokratie“ — einer faktischen Hinwendung zu einem autoritären Regierungsstil und der Abwehr von menschenrechtsorientierten Liberalisierungen. Dies geht einher mit der Beschränkung der Pluralität und Unabhängigkeit der Medien, einem systematisch betriebenen Abbau von Checks-and-balances-Mechanismen, stärkerer politischer Kontrolle der Justiz sowie dem Ausbau der Macht der Exekutive.

Dass auch die Sozialdemokratie nicht frei ist von Blinken nach rechts, zeigen die schwedischen Sozialdemokrat:innen: In einem Land, in dem früher die liberalste Einwanderungspolitik in Europa betrieben wurde, entwickelte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Schwedens unter ihrer Vorsitzenden Magdalena Andersson eine rassistische Politik der Ausgrenzung, um den extrem rechten Sverigedemokraterna (SD) Wahlstimmen abzunehmen. Trotzdem — oder gerade deswegen — wurden die SD in den vergangenen zehn Jahren immer populärer, so dass die neue bürgerliche Minderheitsregierung nun auf ihre Unterstützung angewiesen ist. Als Vorbild für den Kurs der schwedischen Sozialdemokrat:innen können in gewisser Weise die Genoss:innen im Nachbarland Dänemark gelten. Dort war die 1995 gegründete Dansk Folkeparti (DF) zu einer einflussreichen politischen Kraft aufgestiegen, die mehrere konservativ-liberale Minderheitsregierungen stützte, mit der Folge, dass diese, um Konzessionen an die DF zu machen, die Migrations- und Asylgesetze immer weiter verschärften. 2015 erreichte die DF bei der Folketingswahl dann 21,1 Prozent. Mittlerweile ist die Partei aber marginalisiert: Bei der Wahl am 1. November 2022 kam sie nur noch auf 2,6 Prozent. Im EU-Parlament hat sie nur noch einen Abgeordneten. Dazu beigetragen hat, neben der neuen rechtspopulistischen Konkurrenz durch die Danmarksdemokraterne von Inger Støjberg, auch die Politik der sozialdemokratischen Regierungschefin Mette Frederiksen, die eine genuin sozialdemokratische Orientierung auf soziale Sicherheit für breite Bevölkerungskreise mit migrationsfeindlichen Prämissen verband. Ein Höhepunkt der rassistischen Politik war das sogenannte Ghetto-Gesetz von 2018, das besagte, dass in ausgewählten benachteiligten Stadtteilen der Anteil „nicht-westlicher“ Einwohner 50 Prozent nicht überschreiten dürfe. 2021 wurde das Gesetz mit der Einführung einer 30-Prozent-Quote weiter verschärft.

Die extreme Rechte im EU-Parlament

Im EU-Parlament sind die europäischen Rechtsaußenparteien in unterschiedlichen Fraktionen organisiert. Einzig der ungarische Fidesz von Viktor Orbán war aus machtpolitischem Kalkül über Jahre Mitglied der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Zusammenschluss, dem etwa auch CDU und CSU angehören. Trotz öffentlicher Kritik und interner Streitigkeiten wegen des autoritären Kurses der Orbán-Regierung kam der Fidesz erst im Jahr 2021 durch Austritt dem bevorstehenden Ausschluss wegen inhaltlicher Differenzen zuvor.

Der Großteil der extrem rechten Parteien im EU-Parlament ist derzeit verbündet in der Fraktion Identität und Demokratie (ID) oder in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Gilt Letztere, die sich selbst als euroskeptische Mitte-Rechts-Fraktion bezeichnet, auch in der Öffentlichkeit als etwas „moderater“ als die extrem rechte ID, so sind in der Realität weniger gravierende Unterschiede festzustellen: Vielmehr können beide Zusammenschlüsse als „rechte Beutegemeinschaften“ bezeichnet werden, die instrumentell mit EU-Mitteln eine EU-feindliche und nationalistisch-antisozialistische Politik betreiben.

Allerdings haben sich in letzter Zeit sowohl die Kräfteverhältnisse in der europäischen extremen Rechten verschoben als auch deren Bündnisbestrebungen: So verlor die österreichische FPÖ durch den Skandal um das „Ibiza-Video“ und das darauf folgende Scheitern ihrer gemeinsamen Regierung mit den Konservativen eine Zeitlang massiv an Einfluss. Inzwischen hat sie allerdings wieder dazugewonnen und lag Ende 2022 in Umfragen gemeinsam mit der SPÖ auf Platz eins. Italiens rechtem Poster-Boy Matteo Salvini erging es aufgrund fataler Fehleinschätzungen seiner Strahlkraft ähnlich. Aufgrund ihrer Wahlerfolge an Bedeutung gewonnen haben sowohl die Sverigedemokraterna als auch die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. Dass die langjährige politische Resilienz gegen rechtspopulistische Parteien auf der iberischen Halbinsel leider verschwunden ist, zeigten die Erfolge der spanischen Vox-Partei. Alle drei Parteien, auch die „Brüder Italiens“, sind übrigens Teil der EKR. Aber durch den Austritt von Orbáns Fidesz aus der EVP könnten die Karten neu gemischt werden. Im April 2021 lud Orbán den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki von der PiS-Partei und den Parteichef der italienischen Lega, Matteo Salvini, nach Budapest ein, um über die Möglichkeiten einer neuen rechten Allianz im Europaparlament zu sprechen. Ende 2021 war es dann die polnische PiS — bislang stärkste Partei in der EKR-Fraktion –, die in Warschau zum weiteren Austausch einlud, und Anfang des Jahres 2022 setzte sich diese Absprache auf Einladung der spanischen extrem rechten Vox-Partei in Madrid fort. Allerdings führte der kurze Zeit später entfesselte russische Angriffskrieg auf die Ukraine zu Unklarheiten und Widersprüchen zwischen den Parteien, die sich an der erwünschten Allianzbildung beteiligen wollten. Während Orbán nicht deutlich auf Distanz zu Putin geht und auch Parteien wie die Lega oder die FPÖ traditionell eine große Nähe zum russischen Regime erkennen lassen, sieht sich Polen massiv von Russland bedroht. Unklar und aktuell zudem auch unwahrscheinlich erscheint deshalb der rechte Traum von einer neuen rechten Fraktion im Europaparlament, die in der Lage wäre, die bislang aufgesplitteten Lager unter einem gemeinsamen neuen Dach zu vereinigen.

Neuer extrem rechter Machtblock?

Eine Gefahr für Europa durch die extreme Rechte liegt auch in deren wachsendem Einfluss auf die EU. Die Wahl von Giorgia Meloni zur italienischen Ministerpräsidentin stellt einen symbolischen Dammbruch für die extreme Rechte in ganz Europa dar: In einem Gründungsmitglied der EU kam mit einer Drei-Parteien-Koalition eine der am weitesten rechts stehenden Regierungen Europas an die Macht. An der Spitze der Regierung steht mit Meloni eine Frau, deren politische Biografie in der faschistischen Rechten Italiens wurzelt und die in der Vergangenheit erklärte, sie habe „ein entspanntes Verhältnis zum Faschismus“, den sie einfach als einen Abschnitt der nationalen Geschichte begreife. Zwar habe Mussolini Fehler gemacht, etwa die Rassengesetze eingeführt und den Kriegseintritt vollzogen, aber er habe auch „eine Menge vollbracht“. Mit Italien wird erstmals einer der drei einwohnerstärksten EU-Staaten, der über ein entsprechendes politisches Gewicht verfügt, in den EU-Gremien von einer Regierung der äußersten Rechten vertreten. Zumindest bei einzelnen Themen ist durchaus denkbar, dass Italien auf EU-Ebene künftig eng mit Ungarn und Polen kooperiert, die beide ebenfalls sehr weit rechts stehende Regierungen haben. Zwar reicht eine solche Kooperation noch nicht für eine Blockadepolitik, für die mindestens vier EU-Mitglieder mit insgesamt 35 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung nötig wären; allerdings ist nicht auszuschließen, dass punktuell durch Einbindung weiterer Staaten eine solche Blockade in Reichweite käme. Davon abgesehen sind sowohl in Frankreich als auch in Italien Bestrebungen der extremen Rechten deutlich erkennbar, sich von nicht mehrheitsfähigen EU-Austrittsforderungen zu lösen und mit konsensfähigen Parolen weitere Einbrüche in die gesellschaftliche Mitte zu vollziehen.